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Magical Mystery

Magical Mystery

Titel: Magical Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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nachdachte, und das ging hier, im »Zum Backhendl«, ganz gut, weil es zum einen ewig dauerte, bis das Essen kam, denn obwohl nicht viel los war und obwohl der Kellner, der unsere steirisch-wienerische Backhendlbestellung aufgenommen hatte, die ganze Zeit immer nur in der Nähe herumstand und aus dem Fenster schaute, wir also genauer gesagt die Einzigen in dem Laden waren, kam und kam das Essen nicht, und weil es zum anderen so war, dass ich Rosa gegenübersitzen und mitten im Satz abbrechen und über das Gesagte nachdenken konnte, ohne dass es peinlich war, sowas hatte ich noch nicht erlebt, sie ließ mich einfach in Ruhe nachdenken, fragte nicht, was los sei, wurde nicht unruhig, sie trank nur ihr Wasserglas aus, schaute sich ein bisschen im Lokal um und rauchte eine, ohne sich auch nur zu räuspern. Erstaunliche Frau.
    »Schwer zu sagen«, begann ich schließlich von neuem. »Ich glaube nicht, dass es nur an den Drogen lag. Oder an der Drogenmischung, oder was es da sonst noch so an Meinungen gab. Okay, das Saufen hat auch nicht geholfen, aber ich weiß auch nicht, ob ich Alkoholiker war, das kann man wahrscheinlich so gar nicht sagen, auf jeden Fall gab es noch andere Sachen, die dazugekommen sind. Ich weiß eigentlich gar nicht, ob das mit dem Multitox …«
    Ich kam wieder ins Grübeln, und das war auch gut so, denn wenn ich vorher gedacht hatte, dass die Multitoxsache vielleicht bloß eine unbewiesene Behauptung der ganzen Sozial- und Psychiatrieklempner aus dem Einflussgebiet meiner Mutter war, mit denen sie sich selbst beruhigen und den Diagnoseweg abkürzen wollten, weil der Drogenentzug nun mal die eierlegende Wollmilchsau der psychiatrischen Diagnose- und Therapiewelt war, zusammen mit Sport, Bastelstunden und happy hardcore Downerpillen, wenn ich das also so gesehen hatte, dann war das natürlich schon der erste Schritt auf dem Weg zurück zum ersten Bier des Tages und zum Warum-nicht-auch-mal-eine-Pille-wenn’s-einem-danach-besser-geht, warum dann nicht doch bei der Party immer schön dabei sein und ein Sektchen auf die Charts kann nicht schaden und später eine Nase auf dem Frauenklo, denn das war natürlich auch richtig, dass das genau die Gedanken sind, diese Meine-Mutter-hat-sich-das-bloß-ausgedacht-mit-den-Drogen-Gedanken, die man sich als im Trockendock liegende Ex-Spaßguerilla so zurechtlegt, um einen schönen Grund zu haben, wieder mit allem anzufangen, was Freude macht und einem nicht bekommt, eine typische Junkie-Strategie, wie sie Werner immer so findig ausgemacht und an den Pranger gestellt hatte, wenn einer im Plenum auf die Spur der Verschwörungstheorien und des Selbstmitleids ausscherte, das hatte immer was Religiöses gehabt, auch in der Drogentherapie gab es einen Teufel, der einem die sündigen Gedanken einflüsterte, und der kam nur selten durch die Vordertür, aber hinten, an der Kellertreppe, hatte immer Werner gestanden, vor allem bei Klaus-Dieter, der immer richtig Freude daran gehabt hatte, wenn Werner ihm bei dem ganzen Quatsch, den er auf den Plenums oder Plena oder eben, wie Klaus-Dieter selbst ja immer sagte, »Plenata«, wenn Werner ihm also bei dem ganzen Quatsch, der da immer so bei den Plenums aus ihm rausknatterte, mal wieder einen typischen sündigen Drogengedanken nachwies, ein Gedankenverbrechen nach Art des Hauses Clean Cut 1, und kaum, dass Werner ein »Da ist es ja wieder, da ist es ja wieder« anstimmte, um ihm gleich darauf genauestens nachzuweisen, dass er schon wieder dabei war, die Schuld auf die anderen und von sich selbst und seinem Drogending wegzuschieben, dass er geistig schon wieder auf der schiefen Bahn saß und im Begriff war, das Geländer loszulassen, strahlte er, also Klaus-Dieter, schon wieder über beide Backen und nickte und sagte Dinge wie: »Da sagst du was, Werner!« Es war Montagabend, fiel mir bei diesen Gedanken ein, und es war ungefähr die Zeit des Plenums in Altona. Und in St. Magnus machten sie wahrscheinlich gerade Wassertreten.
    Im »Zum Backhendl« war jetzt aber die Zeit des Backhendls, irgendwo klingelte es und der Kellner riss sich vom Fenster, durch das er die ganze Zeit melancholisch auf die Straße gestarrt hatte, los und holte unser Essen, und als er wiederkam, hatte er in jeder Hand einen Teller mit einem Drahtkörbchen drauf und darin lagen irgendwelche Hähnchenteile.
    »Wer hat das steirische?«, fragte er.
    Ich meldete mich. Er stellte mir das eine Körbchen hin, Rosa das andere. Die Körbchen sahen genau gleich aus

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