Magical Village 1 Zimt und Zauber
billigem schwarzem Leder verführt zu werden? Jemandem, den du besser kennst als dich selbst? Jemandem, der sich vor dir die Fußnägel schneidet und sich zwischen den Zähnen herumpult und vermutlich unter der Bettdecke eklige Sachen macht und -«
»Ja, schon gut«, fauchte Doll. »Ich habe verstanden. Und ja, wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe es genossen. Jede Minute davon. Brett und ich hatten eines der besten Wochenenden, seit ich denken kann.«
» Was? Du meinst, du und Brett … Das ganze Wochenende lang? «
»Mmmm …« Doll lächelte verträumt. »Es war herrlich … Wir haben das Schlafzimmer nur verlassen, um uns
die nächste und die übernächste Flasche Wein zu holen. Wir haben sogar im Bett Windbeutel mit Sahne gegessen. Es ist erstaunlich, was man mit einem Windbeutel alles anfangen kann.«
»Igittigitt – so genau wollte ich es gar nicht wissen!« Lulu verzog angewidert das Gesicht.
Doll bremste vor dem Wohlfahrtsladen, doch wie immer gab es keinen Parkplatz. Sie setzte erneut ein wehmütiges Lächeln auf. »Brett und ich konnten uns heute Morgen kaum trennen – es war, als wären wir wieder sechzehn. All unsere alten Gefühle sind wieder aufgeflammt. Und wenn ich nach diesem Wochenende nicht schwanger bin, dann gibt es einfach keine Gerechtigkeit.«
Mann! Lulu fehlten die Worte. Vielleicht steckte doch mehr in dem Wünsch-dir-was-Auflauf, als sie gedacht hatten.
In Gedanken immer noch bei der schauerlichen Vorstellung, dass der kulinarische Versuch ihrer Mutter für Bretts und Dolls erotische Eskapaden verantwortlich war, betrat sie den Laden.
Der düstere, höhlenartige Raum, in dem es nach Alter, Moder und Verfall roch und wo schockfarbenes Keramikgeschirr aus den Siebzigern, Plastiknippes aus den Sechzigern, eine Milliarde Taschenbücher und raue Mengen von untragbaren Kleidungsstücken miteinander um Platz in den Regalen wetteiferten, war nun schon seit fünf Jahren Lulus Arbeitsplatz und Zufluchtsort.
»Entschuldigt bitte meine Verspätung – wegen dem Regen musste ich warten, bis Doll mich gefahren hat.« Sie warf den Afghanenmantel in eine Ecke und grinste ihre Arbeitgeber an. »Soll ich Wasser aufsetzen?«
Hinter dem Verkaufstresen nickten Hedley und Biff Pippin im gleichen Rhythmus. Sie wirkten mehr wie Geschwister als wie ein Ehepaar, beide klein und rundlich mit Gleitsichtbrillen. Ja, sie kleideten sich sogar identisch in Cordhosen und karierte Hemden. Angeblich war Biff ein ziemlich großer Name im inoffiziellen Damen-Wrestling gewesen, als Hedley sie in den Sechzigerjahren auf einer Demonstration für Tierrechte kennengelernt hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie waren lässige Arbeitgeber, die ihrer Sache verpflichtet waren, und Lulu liebte sie innig.
Bei mehreren Tassen Tee sortierten sie die gespendeten Kleidungsstücke und Geschirrteile, die jedes Wochenende in schwarzen Mülltüten vor den Laden gestellt wurden, und Lulu erzählte ihnen vom Wünsch-dir-was-Auflauf und dessen Wirkung, wobei sie allerdings die Details von Bretts und Dolls Liebesmarathon übersprang, da dies die beiden womöglich ebenso schockiert hätte wie sie selbst.
»Vielleicht könnte uns deine Mutter auch etwas für die nächste Tierrechte-Demo kochen«, sinnierte Biff, während sie ein durchsichtiges Nachthemd aus violettem Nylon in die Höhe hielt. »Wir wünschen uns doch alle, dass sich die Opposition schlagartig in Luft auflöst.«
»Äh – ja …« Lulu, die soeben einen faltbaren beigen Regenmantel anprobierte, hielt inne. »Ich weiß nicht, ob Granny Westwards Rezeptbuch auch so etwas enthält.«
»Ach, bestimmt.« Hedley zog an seiner Pfeife, die sogar noch schlimmer stank als Lulus Mantel. »Diese alten Landfrauen konnten doch zu jeder Gelegenheit irgendwas zusammenrühren. Was glaubt ihr wohl, warum sie alle auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind? Und wo kommen denn die Grundbestandteile für moderne Drogen her? Von
Pflanzen, genau. Nehmt nur mal den Mohn – eine so herrliche Blüte -, und doch ist er für eines der schlimmsten Probleme der Welt verantwortlich und -«
»Äh – ja.« Lulu zog den Regenmantel wieder aus und unterbrach Hedleys Wortschwall. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zum Volksredner zu mutieren. »Aber ich glaube nicht, dass meine Mutter sich auf etwas einlassen wird, das eine Drogenrazzia zur Folge hat. Außerdem ist das sowieso alles Humbug.«
Biff schüttelte den Kopf.
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