Magical Village 1 Zimt und Zauber
woher wir ursprünglich kommen? Warum?«
Mitzi seufzte. Sie hatte gewusst, dass Tarnia so reagieren
würde. So war es schon immer gewesen. Seit Marquis – nein, verdammt noch mal! – Mark acht Richtige im Toto gehabt und es geschafft hatte, sein Geld durch klug platzierte Beteiligungen an Fahrzeugleasingfirmen mit einem Kundenkreis aus multinationalen Unternehmen zu vermehren und auf dem einzigen anständigen Grundstück weit und breit den Snepps’schen Palast der Geschmacklosigkeit zu errichten. Seit sie entdeckt hatten, dass zu ihrem neu erworbenen Grundbesitz auch der Gemeindesaal gehörte.
Es war ein ewiger Stolperstein.
Mitzi zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand aus der Gruppe auch nur im Geringsten für eure Vergangenheit interessiert. Selbst diejenigen, die sich daran erinnern, haben viel dringendere Probleme. Sie wollen lediglich ihren Ruhestand angenehm gestalten, ihr Gehirn benutzen und nützliche Mitglieder der Gesellschaft sein. Sie sind in unserem Alter, Herrgott noch mal – Menschen in den besten Jahren, die es nicht verdient haben, aufs Abstellgleis geschoben und vergessen zu werden.«
»Dann hätten sie sich früher darüber Gedanken machen sollen«, zischte Tarnia, während sie mit den Fingern ein paar braune Krümel vom Tresen auftupfte, »und rechtzeitig Pläne für ihre Zukunft geschmiedet haben.«
»So wie du?«
Die Krumen schwebten an einer dünnen orangefarbenen Fingerspitze und fielen wieder ab. »So wie ich.«
Ach, komm!, dachte Mitzi. Tarnia hatte zeit ihres Lebens keinen Tag lang richtig gearbeitet. Sie und Schnösel-Mark hatten Anfang der Siebzigerjahre geheiratet, weil Tarnia schwanger geworden war. Bis zur Geburt des zweiten Snepps-Babys hatten sie bei Marks Eltern gewohnt, worauf
ihnen die Stadt eine Mansardenwohnung zugewiesen hatte. Erst als Tarnia bereits mit dem dritten kleinen Snepps hochschwanger war, hatte Schnösel-Mark mit seinem Kugelschreiber die richtigen Kästchen auf dem Totoschein angekreuzt.
»Und wie geht’s den Kindern?« Mitzi schob die Teetasse weg. Das mit den Törtchen konnte sie getrost vergessen. Es war mal wieder reine Zeitverschwendung.
»Gut«, antwortete Tarnia kurz angebunden. »Wayne und Warren sind natürlich Chefs in unserer Firma und wohnen in Surrey. Sie sind sehr mit ihrem eigenen Leben und ihren Familien beschäftigt. Wir sehen sie nicht oft.«
»Und Lisa-Marie?«
»Leitet ein eigenes Unternehmen in London. Sie hat so gut wie nie Zeit, nach Hause zu kommen.«
»Striptease-Lokale, nicht wahr?«
»Nachtclubs!«, fauchte Tarnia. »Nachtclubs. Sehr elegant. Lisa-Maries Ausbildung als – äh – Tänzerin kam ihr da sehr zupass.«
»Genau wie die Heirat mit einem ihrer arabischen Kunden.«
»Raus!« Tarnia umklammerte die Tischkante. »Es gibt nichts, womit du mich umstimmen könntest. Nichts. Weder rührselige Geschichten über Hazy Hassocks’ Trauerklöße noch Drohungen oder Erpressungsversuche! Ich will nicht, dass der Pöbel meinen Saal oder mein Land benutzt! Verstanden?«
Verdammter Mist, dachte Mitzi wütend. Eine Beleidigung zu viel.
»Okay. Gut. Ich hätte wissen müssen, dass du für Vernunft nicht zugänglich bist. Und Mitgefühl war bei dir sowieso
noch nie eine besonders ausgeprägte Eigenschaft, was?« Sie sammelte die Überredungstörtchen zusammen, ehe sie eines entzweibrach und sich die eine Hälfte in den Mund schob. »Mmmm – köstlich … ein Jammer, dass du keines essen darfst. Nein, nein, werd bloß nicht schwach. Ich möchte auf keinen Fall dafür verantwortlich sein, dass du auch nur ein Gramm zunimmst …«
Tarnia warf einen sehnsüchtigen Blick auf die glänzenden braunen Törtchen, ließ ihre schmale orangefarbene Hand nach vorn schnellen und schlug die glitzernden Nägel in die krümelige Oberfläche. Mitzi hielt den Atem an. Mit unglaublicher Geschwindigkeit stopfte sich Tarnia das ganze Teil zwischen die aufgespritzten Schlauchbootlippen.
Mitzi sah wie gebannt zu. Was in aller Welt tat sie hier? Es würde doch nie und nimmer klappen. Sie wartete, bis Tarnia dicke Backen bekam. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Jetzt? Sollte sie wirklich? Ach, zum Kuckuck, warum denn nicht? Was hatte sie schon zu verlieren? Selbst wenn es alles nur Luftschlösser waren.
»Siehst du? Lecker, was? Nimm doch noch eines – Schnösel-Mark braucht es ja nicht zu erfahren. Ja, sicher, auch zwei oder drei. So viele du willst …«, sagte Mitzi leise. »Und – und ich finde, du solltest dir
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