Magical Village 1 Zimt und Zauber
mussten und man zu diesem Zweck eine großzügige Menge Cochenillerot zugeben solle. Lulu hatte diese Anweisung umgangen, indem sie zwölf pinkfarbene Tischkerzen eingeschmolzen, sorgfältig die Dochte entfernt und sie zum späteren Gebrauch über eine Stuhllehne gehängt hatte. So weit, so gut – jetzt fehlten nur noch die Mitternachtsäpfel.
Unter diesem Namen gab es zwei Liebeszauber, in Lus Augen alle beide ein bisschen fragwürdig. Die erste Liebesbeschwörung war verblüffend einfach: Man musste lediglich einen Apfel in der Hand halten, bis er warm wurde, und ihn dann Schlag Mitternacht dem Objekt seiner Begierde geben. Wenn der Betreffende ihn aß, würde er die Liebe erwidern. Babyleicht.
Doch selbst wenn sie es schaffte, stundenlang einen Apfel in der Hand zu halten, würde Shay dieses abgegriffene, schweißbedeckte Stück Obst wahrscheinlich in die nächste Ecke werfen, und so beschloss Lulu, zur Sicherheit noch das zweite Rezept für einen Apfelzauber vorzubereiten.
Dies wäre allerdings wesentlich leichter zu bewerkstelligen gewesen, wenn Shay Ian oder Ivan geheißen hätte. Sein kurviges Initial in einen widerspenstig glänzenden Braeburn-Apfel zu schnitzen, der immer wieder quer über den Tisch davoneierte, erwies sich als äußerst schwierig. Der Berg ausgemusterter Äpfel mit zickzackartigen Hieroglyphen in der Schale wurde von Minute zu Minute größer. Dieses blöde S war einfach der allervertrackteste Buchstabe im gesamten Alphabet, fluchte Lulu innerlich, während sie auf einem weiteren Apfel herumsäbelte, stets darauf bedacht, auf der anderen Seite noch genug Platz für ihr L zu lassen.
Als sie endlich ein vage erkennbares S und L zustande
gebracht hatte, war nicht mehr viel Apfel übrig, doch jetzt musste sie sich noch den kurzen Zauberspruch einprägen, mit dem sie Shay um Mitternacht ihr Werk überreichen würde. Sie konzentrierte sich auf Granny Westwards krakelige Handschrift.
»Ich beschwöre dich, Apfel, bei diesen Namen, dass der Mann, der dich schmeckt, mich lieben und im Feuer meines Herzens brennen soll wie geschmolzenes Wachs.«
Mann! Lulu zog die Brauen hoch. Granny Westward musste zu ihrer Zeit ein ganz schön heißer Feger gewesen sein. Wenn sie sie doch nur gekannt hätte. Das waren einfach tolle Rezepte.
Sie kratzte die Apfelspäne zusammen und brachte den bearbeiteten Apfel sowie den kleinen, den sie den ganzen Abend in der Hand halten wollte, ganz hinten im Geschirrschrank in Sicherheit, holte tief Luft und machte sich an die Fertigstellung der Liebeskerzen.
Richard und Judy flohen in den Wäschekorb, als die Dämpfe in Schwaden durch die Küche waberten. Das ganze Verfahren war wesentlich vertrackter, als Lulu gedacht hatte, doch nach einer halben Stunde standen sechs kurze Stumpenkerzen mitsamt den wieder eingearbeiteten Dochten im Gefrierfach.
Dass sie nach wie vor ekelhaft rochen und klumpige Apfelbrocken und Kräuterteile aus ihnen herausragten wie bei geplatzten Würstchen, spielte keine Rolle. Wenn Lulu um Mitternacht mit einer doppelten Dosis Apfelzauber auf Shay zuginge, würden sie munter flackern und ihren Weg zur ewigen Liebe beleuchten.
»Guter Gott!« Die Hintertür flog auf. »Was ist denn hier los?«
Lulu, die noch immer damit kämpfte, die Küche wieder in einen halbwegs ordentlichen Zustand zu versetzen, fletschte die Zähne, als sie Flo erkannte. »Ich räume nur auf … Äh – Mum ist nicht da, und wir haben auch noch nicht angefangen …«
Flo stellte mehrere Tragetaschen unsanft mitten in das Chaos auf dem Küchentisch und begann sie auszupacken. »Ja, ich weiß. Ich wollte nur die Getränke bringen. Ich habe nämlich deiner Mum versprochen, dass wir die Getränke liefern, wenn sie fürs Essen sorgt. Mensch, Lu, sie hat doch nicht etwa dir aufgetragen, das Essen zu machen, oder? Dann gibt’s ja nur diesen vegetarischen Körnerfresser-Kram. So was rührt mein Clyde nicht an.«
Lulu ignorierte diese Beleidigung ihrer kulinarischen Fertigkeiten und musterte stattdessen mit zunehmendem Grauen die wachsende Flaschenzahl. Es gab Unmengen Holunderblüten-Rhabarber- und Steckrüben-Löwenzahn-, ganz zu schweigen von Pastinaken-Schlehen-Wein.
»Das ist unsere Spezialität«, erklärte Flo und hielt Lulu eine Flasche unter die Nase. »Hagebutten-Apfel-Sekt.«
Lulus Augen leuchteten auf. »Oh, gut. Apfel … Äpfel sind heute Abend sehr wichtig, weißt du.«
Flos Augen wurden schmal. »Mein Gott, Lu, du hast doch nicht auch mit diesem Hokuspokus
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