Magical Village 1 Zimt und Zauber
doch was sie sah, gefiel ihr. Das rückenfreie Top war etwas knapp, bildete jedoch einen gelungenen Kontrast zu dem langen schwarzen Bahnenrock. Und die schwarzen und silbernen Perlen in den Zöpfen machten sich einfach wunderbar. Vielleicht hatte sie ein bisschen zu viel Kajal genommen. Ach nö. Man konnte gar nicht zu viel Kajal nehmen.
Gut, dachte sie, während sie die Tür zu ihrem verwüsteten Zimmer hinter sich schloss, jetzt musste sie nur nach unten schweben, ein lächelndes Partygesicht aufsetzen und auf Granny Westwards Zauberkraft vertrauen – dann könnte es noch ein ganz schöner Abend werden.
Guter Gott!
Irgendeine Musik aus dem Fundus ihrer Mutter erschütterte das Haus bis auf die Grundmauern. Ah ja – Led Zeppelin. Mitzi hatte wirklich einen sonderbaren Geschmack für eine ältere Frau, dachte Lu, während sie unter der Lautstärke zusammenzuckte. Und nachdem sie seit etwa vierzig Jahren für diese lauten Bands schwärmte, war es eigentlich ein Wunder, dass sie noch nicht stocktaub war.
Im halbdunklen Wohnzimmer wummerte und dröhnte es. Die Leute waren nur schemenhaft erkennbar, doch es waren viele. Lu wich den offensichtlichen Gefahrenzonen aus und nahm sich ein Glas Wein und ein Stück von etwas, das schwarz war und wie Sirup klebte.
Mann! War das ihre Mutter, die da mit einem Jungen mit Baseballkappe tanzte? Und Doll, die in einer schwarzen Hose und einer nicht ganz zugeknöpften weißen Bluse schon fast lässig aussah? Und was trieb sie da auf dem Sofa mit Brett und – Wahnsinn! Joel Earnshaw?
Lulu kippte den Wein auf ex und löffelte die weiche, sirupartige
Masse auf, ehe sie sich vorsichtig dem Partygeschehen näherte. Die Musik war eigentlich ziemlich gut, fand sie, während ihr der Rhythmus in die Beine ging und sie unwillkürlich begann, sich im Takt dazu zu bewegen. Auch die Dekorationen waren echt cool, die vielen flackernden Kerzen, die kleinen Skelette und Hexen, Fledermäuse und Spinnen, die sachte hin und her schwangen und … hoppla!
»Oh, Entschuldigung«, sagte sie und versuchte, sich aus einer Gruppe von Mitzis Fitten Fünfzigern zu befreien. Ein Mann mit einem Filzhut rangelte länger mit ihr, als unbedingt nötig gewesen wäre. Das seidige rückenfreie Top rutschte gefährlich tief nach unten.
Clydes Wein musste dieses Jahr besonders stark geraten sein. Sonst sah sie immer erst nach dem zweiten Glas dreifach. Sie fühlte sich reichlich wackelig auf den Beinen, ihr war schwummrig und warm zugleich, und sie musste ständig kichern. Gar nicht so schlecht.
»Alles in Ordnung?« Doll hatte sich mit falsch zugeknöpfter Bluse vom Sofa erhoben und wankte nun auf unsicheren Beinen auf Lulu zu. »Deine Augen sehen komisch aus. Hast du was von dem Kürbiszeug gegessen?«
»Weiß nicht. War es schwarz und klebrig?«
»Keine Ahnung!« Doll lachte schrill auf, ehe sie sich die Hand vor den Mund schlug. »Entschuldige – so hab ich mich nicht mehr gefühlt, seit – na ja, eigentlich wahrscheinlich noch nie … ich brauche dringend ein Glas Wasser …«
Lu sah Doll an, dass sie wahrscheinlich noch unsicherer auf den Beinen war als sie selbst, und so nahm sie ihre Schwester bei der Hand und führte sie in die Küche.
Richard und Judy grinsten fröhlich vom Beistelltischchen herunter, den Kopf jeweils ans Hinterteil des anderen geschmiegt,
und schnurrten behaglich. Wahrscheinlich hatten sie auch ein paar Kürbisküsse verdrückt.
Sowie sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, war der Partylärm nur noch gedämpft zu vernehmen.
»Und?« Lu schenkte Doll ungeschickt ein Glas Wasser ein und lehnte sich gegen die Spüle. »Was ist denn da draußen los? Mit dir und Brett und dem sexy Zahnarzt?«
Die Worte verschwammen undeutlich ineinander.
»Gar nichts.« Doll leerte ihr Glas und schenkte es erneut voll. Es tat gut, Granny Westwards Snacks herunterzuspülen. Allmählich verlor sie ihren glasigen Blick. »Ich habe Joel eingeladen, weil er in Hazy Hassocks oder Winterbrook keine Menschenseele kennt und ein netter Kerl ist. Weiter nichts. Warum? Ach, komm! Du glaubst doch nicht etwa, dass wir – du weißt schon – oder?«
Lulu hielt sich mit beiden Händen an der Arbeitsplatte fest, damit ihr die Küche nicht davonrutschte, und artikulierte jedes Wort überdeutlich. »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Du hast dich in letzter Zeit so verändert. Hab ich ›in letzter Zeit‹ richtig ausgesprochen? Ah, gut … Äh – nein, weißt du, du und Brett …«
Doll blinzelte.
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