Magical Village 1 Zimt und Zauber
hatte keinen blassen Schimmer. War Lulu verrückt geworden?
»Wo ist der andere?«, blaffte sie Joel an. »Der, von dem Stücke fehlen? Haben Sie den auch schon gegessen?«
Die Apfelschnapper hoben die patschnassen Köpfe aus der Wanne und verfolgten gespannt die Szene.
»Der ist hier«, sagte Joel und drückte ihn Lulu in die Hand.
»Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es Ihr ganz persönlicher Apfel war.«
»Lu – was ist eigentlich los?« Mitzi kam sich vor wie im falschen Film. »Es ist doch nur ein Apfel. Es sind noch mehr als genug da – und wo willst du jetzt so plötzlich hin?«
Lu hatte die Türglocke gehört. Und die Uhr schlug immer noch Mitternacht. Sie riss die Tür auf. Pfeif auf den blöden Joel Earnshaw und ihre Mutter. Falls Granny Westward recht behielt, hatte das Schicksal die beiden dazu ausersehen, zum seltsamsten Paar aller Zeiten zu werden.
Direkt vor der Tür stand Shay. Die in Weiß und Rosa verpackte Carmel, die wie ein zartes, weiches Märchenpüppchen aussah, hielt sich dicht hinter ihm.
»Hi«, sagte er lächelnd. »Da sind wir … Der Film war Schrott, und in Lav und Lobs Haus ist alles finster, da dachten wir -«
»Da!« Lu drückte ihm den gravierten Apfel in die Hand und zerrte am Ärmel seiner Lederjacke. Sie zog ihn durch die Diele ins Wohnzimmer und machte erst neben den flackernden Apfel-Liebeskerzen Halt, die immer noch nach Kuhfladen rochen. Die Uhr tat den letzten Schlag.
»Iss ihn – bitte. Wenigstens einen Bissen …«
Shay lachte und gehorchte.
Lulu kramte in ihrem Gedächtnis mühsam Granny Westwards Worte zusammen und holte tief Luft. »Ich beschwöre dich, Apfel, bei diesen Namen, dass der Mann, der dich schmeckt, mich lieben und im Feuer meines Herzens brennen soll wie geschmolzenes Wachs.«
Jimi Hendrix war mittlerweile zu seiner betörenden Version von »All Along the Watchtower« übergegangen.
Shay kaute nachdenklich. Und schluckte. Und grinste. »Hast du mich gerade mit einem Zauberspruch belegt?«
»Guter Gott, nein! Natürlich nicht!«, zwitscherte Lu fröhlich. »Das ist nur ein Partygag.«
Shay betrachtete mit amüsiertem Blick das ausschweifende Treiben im Wohnzimmer. Carmel stellte sich neben ihn und starrte Lulu unverwandt an. Die Apfelschnapper widmeten sich wieder ihrem Spiel, während Mitzi und Joel mit Clyde und Flo, den Fitten Fünfzigern und der Dorfjugend tanzten. Doll und Brett waren verschwunden. Lav und Lob, denen noch das Wasser von den Hexenhüten tropfte, säbelten grobe Brocken vom Schabernackskuchen ab, während der Filzhutmann, der ein bisschen zu intensiv an den Apfel-Liebeskerzen geschnuppert hatte, sich in den Kohleneimer übergab.
Lulu schmunzelte stillvergnügt über sich und ihre Urgroßmutter, die sie nie kennengelernt hatte, und schenkte sich zur Feier des Tages ein großes Glas Himbeer-Zwiebel-Wein ein.
14. Kapitel
S ämtliche Pyromanen aus Hazy Hassocks hatten der Feuerwerksnacht am fünften November voller Vorfreude entgegengefiebert. Nun leuchteten am Abendhimmel über dem Gemeindesaal von Hazy Hassocks unzählige bunte Farbfontänen auf, während der Boden unter gewaltigen Detonationen erbebte.
Auch drinnen flogen die Funken.
Der Filzhutmann, noch sichtlich mitgenommen von Halloween, zuckte unter dem Lärm der zahlreichen sich anbrüllenden Leute zusammen, während er sich vorsichtig zwischen den lauten Grüppchen hindurchwand, Zettel verteilte und besorgt nickte.
Lav und Lob Banding trotteten hinter ihm drein und verkündeten lautstark, dass sie unerlässliche Mitglieder der American Drama Group seien. Der Filzhutmann stimmte ihnen über die Schulter hinweg zu, ja, sie hätten sich für American Drama ebenso eingetragen wie für alles andere, doch der Charakter der ersten geplanten Produktion spräche doch eher dafür, dass sie im Zuschauerraum – und dort vorzugsweise ganz hinten – Platz nehmen sollten.
Die Bandings, deren Fahrradhelme mittlerweile Heiligenscheine aus schwarzem Plastik zierten, nachdem man die Hexenhüte hatte herunterschneiden müssen, ließen sich
nicht davon abbringen, dass sie sich in der Tanzgruppe blendend machen würden. Schließlich hatten sie als junge Mädchen in Gilbert-and-Sullivan-Operetten mitgewirkt.
Mitzi verfolgte das Treiben von der Bühne aus, inzwischen der festen Überzeugung, dass sie für die Fitten Fünfziger nicht mehr wichtig war. Sie hatten jemanden gebraucht, der sie zusammenbrachte und anregte, Kontakte zu knüpfen, doch jetzt lief auch ohne sie
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