Magical
am nächsten Tag um die Hand einer Frau anhalten würde, zum Schlafen umzog (nachdem ich die Diener weggeschickt hatte – was ich Gott sei Dank getan hatte), klopfte es am Fenster.
Das wäre nicht weiter erschreckend gewesen, hätte mein Zimmer nicht im dritten Stock gelegen.
Erst wollte ich das Klopfen nicht beachten, aber dann wurde es so aufdringlich, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte. Schließlich öffnete ich einen der Fensterflügel. Kaum hatte ich das getan, hüpfte eine schwarze Krähe herein.
»Kendra?«
Die Krähe verwandelte sich in eine Frau. »Ooh, schicke Bude. Eure Familie sollte aufpassen – dieses Schloss wird euch irgendwann noch mal in Schwierigkeiten bringen.«
»Ich weiß wirklich nicht …«
»Glaub mir … kkkkkk.« Sie machte eine grobe Geste, bei der sie mit dem Finger an ihrer Kehle vorbei fuhr, als würde sie sich selbst köpfen.
»Du solltest nicht in meinem Zimmer sein. Das gehört sich nicht.«
Kendra lachte. »Was von all dem gehört sich schon?«
Ich nickte. »Natürlich. Ich sollte dir dankbar sein. Prinzessin Maria Luisa hat die Prüfung bestanden. Wir werden heiraten.«
Kendra starrte mich an. »Bestanden? Die Prinzessin hat überhaupt keine Prüfung bestanden, noch nicht.«
In ihrer Stimme lag etwas Eisiges, das mir bis auf die Knochen drang. »Hat sie nicht?«
Kendra schüttelte den Kopf, eine Geste, die sehr krähenhaft aussah und durch die das Licht von den grünen und violetten Strähnchen in ihrem Haar zurückgeworfen wurde. Schließlich sagte sie: »Die Prüfung kommt erst noch.«
Natürlich. Es war zu einfach. Mutter hatte noch einen Trumpf in ihrem langen Spitzenärmel, mit dem sie dafür sorgen würde, dass Prinzessin Maria Luisa für den zweifelhaften Preis, meine Hand zu gewinnen, weiterhin hart arbeiten musste.
»Die Prüfung wird in der Nacht stattfinden«, sagte Kendra.
»In der Nacht? Was für eine Prüfung …?«
Kendra lächelte nicht. »Habt keine Angst. Ich werde dafür sorgen, dass es unmöglich ist, dass Maria Luisa durchfällt.«
Und dann, noch bevor ich ein weiteres Wort sagen konnte, verwandelte sie sich wieder in eine Krähe und flog davon.
Die Prüfung wird in der Nacht stattfinden. Die Worte verfolgten mich, so wie es nur Worte können, wenn man etwas Unrechtes getan hat. Sie legten einen Schatten über das Licht des Glücks, das ich vor ein paar Minuten noch empfunden hatte. Ich betrat mein Schlafgemach mit großer Beklommenheit und machte kein Auge zu.Was für eine Prüfung konnte des Nachts durchgeführt werden?
Gegen Mitternacht hörte ich ein pochendes Geräusch. Ich tastete nach einem Licht, weil ich die Dienerschaft nicht wecken wollte, aber es verstummte, bevor ich aufstehen und nachschauen konnte.
Als es zwei schlug, hörte ich ein gedämpftes Stöhnen. Doch wieder hörte es rasch auf. Oder vielleicht hatte ich auch einfach zu viel Angst vor dem, was ich hätte finden können. Ja, das war es. Die ganze Nacht lang schlief ich nicht mehr als zehn Minuten am Stück.
Als der Morgen dämmerte, ging ich in den Speisesaal, wo ich auf Mutter traf. Sie sah äußerst ausgeruht aus und umarmte mich. »Lieber Sohn, da bist du ja. Nun werden wir gemeinsam herausfinden, ob Prinzessin Maria Luisa meine Prüfung bestanden hat.«
»Prüfung? Was für eine Prüfung?«
Sie sah mich nicht an und rückte ihr Spitzenhäubchen zurecht, als wäre das vollkommen unerheblich. »Eine einfache Prüfung, die feststellen soll, ob die Prinzessin die zarte Natur einer wahren Prinzessin besitzt. Lady Agnes hat mir dabei geholfen, sie zu ersinnen. Weißt du, letzte Nacht legten wir …«
»Oh, was ist nur mit mir geschehen?«
Das war die Prinzessin. Mutter hob die Hand und wir drehten uns beide um. Dann staunten wir.
Die Prinzessin sah überhaupt nicht mehr wie das fröhliche, normale Mädchen aus, das wir am Tag zuvor kennengelernt hatten. Tatsächlich sah sie aus wie jemand, der gerade ein schreckliches Martyrium erlitten hatte, einen Schiffbruch etwa (vielleicht war einer von Mutters Eisbergen daran schuld) oder einen Erdrutsch. Ihre Perücke saß schief und ihr Haar stand in alle Richtungen, als hätte sie sich nicht die Mühe gemacht, es zu bürsten. Oder vielleicht hatte sie es auch gebürstet und es hatte ihr nicht gehorcht. Ihre Kleider – sie trug noch ihren Morgenmantel – waren zerknittert, verrutscht und leicht feucht. Ihr Gesicht war aschfahl. Als sie mich entdeckte, fixierte sie mich mit einem flehenden Blick. Alles in allem sah
Weitere Kostenlose Bücher