Magie der Liebe
Mr. Jones?« fragte Lily.
»Aber ja, Madame. Ich glaube, wir werden wunderbar miteinander zurechtkommen.«
»Nun gut, dann lasse ich Sie jetzt allein. Gehorcht Mr. Jones, Kinder! Ich werde in der Zwischenzeit ein wenig mit Laura Beth spielen.«
Nachdem Sam John zu dem Portrait geführt und danach so viele Schnurrbarte gezeichnet hatte, daß sie ihn noch im Traum verfolgen würden, hatte er sich irgendwann aus dem Zimmer davongeschlichen. Er konnte Theos endlose Vorträge über Dampfmaschinen nicht mehr hören, doch da John Jones Theos Vorliebe zu teilen schien, war Sam nichts anderes übrig geblieben, als sich davonzumachen.
Da Duckett nicht auf seinem Posten gewesen war, hatte er unbemerkt das Haus verlassen können. Der Himmel war bedeckt, und es wehte ein eiskalter Wind, doch Sam zog es keineswegs nach Hause zurück. Er kickte eifrig Kieselsteine durch die Gegend und war so vertieft, daß er seine Umgebung überhaupt nicht wahrnahm. Morgen sollte der Umzug nach Castle Rosse stattfinden, und Sam hoffte inständig, daß er dort Spielkameraden finden würde, mit denen er sich im Freien amüsieren konnte. Hoffentlich gab es auch einen Stall und viele Pferde. Irgendwann packte ihn das schlechte Gewissen, weil er gegen Lilys ausdrückliches Verbot verstoßen hatte. Eigentlich hätte er nicht einfach so weggehen dürfen, doch es war ihm gleichgültig, denn in spätestens zehn Minuten wollte er ohnehin umkehren. Leise pfiff er vor sich hin.
»Ach, du Himmel! Ist das nicht einer von Tristans Bengeln?«
Als Sam den Namen seines Vaters hörte, hob er den Kopf und erblickte zwei abscheuliche Typen, die sich gegen den scharfen Nordwind kräftig eingemummt hatten.
»Ja, ich glaube, das ist der jüngere. Soviel ich weiß, gibt es außerdem noch ein Mädchen.«
Monk verdrehte die Augen. »Und der läuft uns genau in die Arme! Nicht zu fassen! Hallo, Junge!«
Sam blieb stehen, während der größere der Männer auf ihn zukam. Seine Stiefel und das untere Drittel seines langen Mantels waren schmutzbespritzt, und auch sonst sah er ziemlich finster drein. Einen Schnurrbart brauchte der bestimmt nicht, denn seine Oberlippe war dick und wulstig.
»Ich bin ein Freund deines Vaters. Ja, ja, von Tris Winthrop. Ich und Boy waren seine Kameraden.«
Das schien Sam allerdings höchst unwahrscheinlich. »Sie sind ein verdammter Lügner!« schimpfte er.
»Du frecher, kleiner Stinker! Los, komm her!«
Doch Sam tat genau das Gegenteil und rannte blitzschnell davon, aber es half ihm nichts. Irgendwann spürte er, wie sich ein riesiger Arm um seine Taille legte und ihn einfach vom Boden hochhob. Von weitem konnte er durch die Äste der Bäume das Stadthaus erkennen. Oh, Gott! dachte er und trat kräftig nach allen Seiten aus.
»Aua!« Der Arm schloß sich noch fester um ihn, bis er beinahe keine Luft mehr bekam.
»Der Bengel sieht Tris aber gar nicht ähnlich, Monk! Bist du sicher, daß wir den richtigen Jungen erwischt haben?«
»Aber ja! Wie heißt denn du, du kleiner Mistkerl?«
Sam schüttelte den Kopf. »Ich kenne keinen Tris!« keuchte er. »Ich wohne dort drüben. Wenn Sie mich nicht loslassen, wird die Polizei Sie verfolgen! Dann werden Sie aufgehängt und Ihre Köpfe werden auf Piken gespießt!«
Monk lachte. »Ein fantasievolles Kerlchen, nicht wahr? Weißt du, ob deine Mutter nicht den alten Tris reingelegt hat?«
»Lassen Sie mich los!« schrie Sam aus Leibeskräften und zappelte wie verrückt. Doch wieder verstärkte sich der eiserne Griff.
»Hör uns jetzt genau zu! Für uns bist du ein Geschenk des Himmels. Wir nehmen dich mit, und dann wird uns deine Mutter schon - ich sollte lieber die Hure deines Vaters sagen dann wird sie schon herausrücken, was uns gehört!«
Sam hörte, wie die beiden Typen Lily beleidigten, und ahnte, daß sie ihr etwas Böses antun wollten. Was konnte er nur tun? Obwohl er erst sechs Jahre alt war, glaubte er dennoch nicht an himmlische Gerechtigkeit. Doch als er in diesem Augenblick einen Mann in modischer Bibermütze und dickem Mantel auftauchen sah, schrie er sich beinahe die Lunge aus dem Hals. »Hilfe! Helfen Sie mir! Ich werde entführt!«
11. Kapitel
Stirnrunzelnd blieb der Gentleman stehen, doch sobald er die Situation erfaßt hatte, schrie er: »Lassen Sie sofort den Jungen los, oder es wird Ihnen schlecht bekommen!« Und mit einer gekonnten Bewegung riß er einen schmalen Degen aus seinem Spazierstock und stürmte mit wildem Gesichtsausdruck auf die kleine Gruppe zu.
Monk
Weitere Kostenlose Bücher