Magie der Liebe
noch lebhaft an den gutaussehenden, jungen Gentleman und an den Eindruck, den dieser auf seinen kleinen Vetter Knight Winthrop gemacht hatte. »Dein Vater war ein sehr unternehmungslustiger, fröhlicher Mann. Dein Vetter Knight hat ihn damals sehr verehrt und ist ihm auf Schritt und Tritt gefolgt. Als wahrer Gentleman hat dein Vater seinen jüngeren Vetter immer äußerst liebenswert behandelt.«
Doch über das Leben dieses Vetters wurde Lily erst am darauffolgenden Tag durch Mrs. Crumpe ausführlich aufgeklärt.
12. Kapitel
»Seine Lordschaft war ein wirklich reizender Junge und gut erzogen«, erzählte Mrs. Crumpe mit mütterlichem Stolz in der Stimme. Nach einem kleinen Stirnrunzeln fuhr sie fort: »Nun, jedenfalls die meiste Zeit. Manchmal benahm er sich auch wie ein wildes Fohlen, doch heimtückisch, gemein oder hinterhältig waren seine Streiche nie.«
Lily mußte lächeln. Ganz offensichtlich hatte der junge Knight wesentlich mehr Ähnlichkeit mit Sam als mit Theo. Das Portrait, vor dem sie und Mrs. Crumpe in der Ahnengalerie des Westflügels stehengeblieben waren, zeigte den fünfzehn Jahre alten Knight in sehr aufrechter Haltung neben seinem Jagdpferd. Er war schon damals ziemlich groß gewesen, und um seine Augen hatte bereits dasselbe spöttische Lächeln gespielt wie heute - ein äußerst liebenswerter Junge von gewinnendem Wesen, der zu einem überaus gutaussehenden Mann heranzuwachsen versprach.
»Seine Mutter ist gestorben, als er erst zehn Jahre als war«, erläuterte Mrs. Crumpe, »und seinen Vater hat er so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Der ehemalige Lord Castlerosse war nämlich der Überzeugung gewesen, daß ein Kind nicht unter dem schlechten Vorbild seines Erzeugers leiden, sondern Gelegenheit bekommen sollte, möglichst unbeeinflußt einen ganz eigenen Charakter zu entwickeln.«
Diese Bemerkung versetzte Lily in helle Aufregung. »Wie bitte? Das ist ja völlig absurd! Wollen Sie damit sagen, daß der frühere Viscount Castlerosse seinen eigenen Sohn praktisch ignoriert hat?«
»Ja, aber natürlich mit Absicht!« bemerkte Mrs. Crumpe, während sie das Bild abstaubte. »Als sein Sohn geboren wurde, war der Viscount bereits ein älterer Mann. Er hatte erst mit vierzig Jahren geheiratet, und seine Frau war nicht einmal zwanzig Jahre alt gewesen. Als sie bereits wenig später schwanger geworden war, hat sich ihr Mann völlig von ihr zurückgezogen und in London sein eigenes Leben geführt.«
Lily war zutiefst entsetzt. Ihrer Meinung nach brauchte ein kleiner Junge doch seinen Vater, und eine Mutter brauchte ihren Ehemann!
»Da Sie den Viscount gut kennen, wird Ihnen das alles ja nicht unbekannt sein«, fuhr Mrs. Crumpe im Brustton der Überzeugung fort. »Er hat ja die Überzeugung seines Vaters voll und ganz übernommen und ebenfalls die Absicht, keinesfalls vor Vierzig zu heiraten. Ehrlich gesagt waren Mr. Thrombin und ich äußerst überrascht, daß er es mit Ihnen und den Kindern tatsächlich so lange ausgehalten hat! Bisher hat er nämlich immer die Meinung vertreten, daß Kinder ausschließlich in die Obhut ihrer Kinderfrauen und Lehrer gehörten.« Diesen Satz unterstrich ein verwundertes Nicken. »Drei Wochen! Wahrscheinlich war er vom Krach und den dauernden Aufregungen völlig erschöpft!«
Nein, dachte Lily, eigentlich ganz im Gegenteil. Er hat sich wunderbar benommen. Ob er tatsächlich erst mit Vierzig heiraten wollte? Er war doch erst siebenundzwanzig! Alles in ihr revoltierte gegen diese Vorstellung.
»Und dieses Bild zeigt seine Mutter, Lady Elysse. Hübsch, nicht wahr? Er hat ihre Augen geerbt- die Fuchsaugen, wie wir sie nennen. Braune Augen mit goldenen Lichtern. Wirklich sehr ungewöhnlich!«
»Hat der frühere Viscount seine junge Frau geliebt?«
Mrs. Crumpe reagierte mit leichtem Tadel in der Stimme. »Aber absolut nicht! Derartige Gefühle waren für ihn bloße Selbsttäuschung. Wenn es um dieses Thema ging, konnte er sehr verächtlich werden. Liebe war für ihn ausschließlich etwas für Schwachköpfe, die ihren Verstand nicht gebrauchen konnten. Für einen Gentleman kam Liebe nicht in Frage, und soviel ich weiß, teilt sein Sohn diese Überzeugung ebenfalls.«
Wie in Trance folgte Lily Mrs. Crumpe auf deren Rundgang durch das Haus und nahm alles in sich auf, was diese von sich gab. Irgendwie wollte es ihr nicht gelingen, Knight ausschließlich als Spiegelbild seines Vaters zu sehen. Doch aus unerklärlichen Gründen schienen das wunderschöne Haus und die
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