Magie der Sehnsucht - Roman
sich daran.«
»Wirklich?« Das bezweifelte sie.
Nur eine halbe Stunde lang hatte sie in dem Schuppen festgesessen. Aber es war ihr wie eine Ewigkeit erschienen.
Und wenn man tatsächlich für alle Zeiten zwischen zwei Buchdeckeln gefangen gehalten wurde?
»Hast du nie versucht zu fliehen?«
Sein Blick sprach Bände.
»Was ist geschehen?«
»Offensichtlich ist mein Fluchtversuch misslungen.«
Tiefes Mitleid erfüllte ihr Herz. Zweitausend Jahre in einer dunklen Gruft? Welch ein Wunder, dass er immer noch bei klarem Verstand war – dass er hier sitzen und mit ihr reden konnte … Und wie hungrig musste er gewesen sein! Was für ein furchtbares Martyrium!
Irgendwie musste sie ihm helfen. Auf welche Weise, wusste sie nicht. Aber sie würde Mittel und Wege finden, um ihn von diesem qualvollen Fluch zu erlösen. »Und wenn wir versuchen, dich zu befreien?«
»Da gibt es keine Möglichkeit.«
»So fatalistisch?«
In bitterer Ironie verzog er die Lippen. »Dazu neigt man, wenn man zweitausend Jahre lang eingesperrt war.«
Während sie beobachtete, wie er einen Bissen nach dem anderen in den Mund schob, überschlugen sich ihre Gedanken. Da sie eher optimistisch veranlagt war, wollte sie seinen Pessimismus nicht ernst nehmen. Und als Therapeutin fühlte sie sich verpflichtet, ihm zu helfen. Sie hatte geschworen, sie würde stets ihr Bestes tun und das Leid psychisch kranker Menschen lindern. Und dieser Eid bedeutete ihr sehr viel. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, entschied sie.
Mochten auch noch so große Hindernisse auftreten, Grace würde sie alle überwinden. Und in der Zwischenzeit würde sie etwas für ihn tun, was ihm sicher noch keine Frau geboten hatte. Er sollte seinen Aufenthalt in New Orleans genießen. Statt ihn im Schlafzimmer festzuhalten,
wie seine anderen Gebieterinnen, würde sie ihn nicht in Ketten legen. »Diesmal wirst du etwas ganz Neues erleben.«
Plötzlich interessiert, schaute er von seinem Teller auf.
»Ich werde deine Dienerin sein. Was immer du willst, wir werden es tun. Was du auch sehen willst – ich werde es dir zeigen.«
Belustigt verdrehte er die Augen und griff nach seinem Weinglas. »Zieh dein Hemd aus.«
»Wie bitte?«
Er nahm einen Schluck, dann schenkte er ihr ein lüsternes Grinsen. »Soeben hast du erklärt, du würdest alle meine Wünsche erfüllen. Nun, ich möchte deine nackten Brüste sehen – und dann mit meiner Zunge …«
»Moment mal!« Schon wieder stieg heiße Röte in ihre Wangen. »Wir müssen gewisse Regeln aufstellen. Nummer eins – so etwas kommt nicht infrage.«
»Warum nicht?«
Enttäuscht protestierte ihr Körper: Warum nicht?
»Weil ich keine streunende Katze bin, die den Schwanz hochreckt und auf den nächstbesten Kater wartet, damit er sein Ding reinsteckt und dann wieder verschwindet.«
4
VERBLÜFFT ÜBER DIESEN unerwarteten, vulgären Vergleich, hob Julian die Brauen. Noch erstaunlicher fand er die Bitterkeit, die in Graces Stimme mitschwang. Offenbar war sie von einem oder mehreren Männern schlecht behandelt worden. Kein Wunder, dass sie vor ihm zurückschreckte …
In seiner Fantasie erschien Penelopes Bild, und ein heftiger Schmerz erfüllte sein Herz. Nur dank seiner strengen militärischen Ausbildung konnte er ein Stöhnen unterdrücken. Oh ja, er musste für viele Sünden büßen. Dafür reichte nicht einmal der Fluch, der ihn seit zweitausend Jahren peinigte.
Er war nicht als Bastard zur Welt gekommen. Aber in einem grausamen Leben voller Verzweiflung und Verrat hatte er sich dazu entwickelt. Mit geschlossenen Augen verdrängte er diese Gedanken. Das war eine alte Geschichte. Und jetzt, in der Gegenwart, zählte nur Grace. Um ihr zu dienen, hatte er das Buch verlassen.
Nun verstand er, was Selena in jenem Bericht über ihre Freundin gemeint hatte. Deshalb war er hier – um Grace die Freuden der körperlichen Liebe zu zeigen, die sie offenbar nicht kannte. In einer solchen Situation hatte er sich noch nie befunden. Lächelnd schaute er sie an. Zum ersten Mal würde er eine Frau umwerben. Keine einzige hatte ihn bisher zurückgewiesen.
Wegen ihrer Klugheit und ihres Starrsinns würde es ihm genauso schwerfallen, Grace ins Bett zu locken, als
müsste er das römische Heer überlisten. Diese Herausforderung würde er genießen – und jeden Zentimeter ihres reizvollen sommersprossigen Körpers.
Mühsam schluckte sie beim Anblick des ersten echten Lächelns, das er ihr schenkte; das seine starren Züge milderte. Jetzt fand
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