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Magie der Sehnsucht - Roman

Magie der Sehnsucht - Roman

Titel: Magie der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherrilyn Kenyon
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sie ihn zauberhafter denn je. Woran um alles in der Welt dachte er?
    Bei der Erinnerung an ihre obszönen Worte spürte sie zum x-ten Mal in dieser Nacht, wie brennende Röte ihre Wangen färbte. So hatte sie nicht reden wollen, und es sah ihr gar nicht ähnlich, ihre geheimsten Gedanken einem Fremden zu verraten.
    Aber dieser Mann strahlte etwas so Bezwingendes aus, das beängstigend tief in ihr Herz drang. Vielleicht lag es an dem kaum verhohlenen Kummer in seinen blauen Augen, den sie manchmal wahrnahm, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Oder vielleicht hing es mit ihren jahrelang gesammelten Erfahrungen im psychologischen Bereich zusammen, dass sie das unwiderstehliche Bedürfnis verspürte, einer leidenden Seele zu helfen.
    Im oberen Stockwerk schlug die Großvateruhr – einmal. »Oh Gott, so spät ist es schon?«, rief sie erschrocken. »Morgen muss ich um sechs aufstehen und arbeiten.«
    »Gehst du jetzt ins Bett? Um zu schlafen?«
    Wäre er nicht so missgelaunt gewesen, hätte sie über seine ungläubige Miene gelacht. »Ja, ich brauche meinen Schlaf.«
    Seine Brauen zogen sich zusammen. Hatte er Schmerzen?
    »Stimmt was nicht?«, fragte sie. »Fehlt dir irgendwas?«
    Schweigend schüttelte er den Kopf.
    »Nun, dann werde ich dir zeigen, wo du schlafen kannst.«

    »Ich bin nicht müde.«
    »Was?« Hatte sie sich verhört?
    Julian suchte nach Worten, um ihr zu erklären, was er empfand. Nach der langen Gefangenschaft in dem alten Buch wollte er laufen und springen – irgendetwas tun, um seine plötzliche Bewegungsfreiheit zu feiern. Nein, diese Nacht wollte er nicht im Bett verbringen. Allein schon die Vorstellung, auch nur eine Minute im Dunkel zu liegen … Er holte tief Luft. »Seit 1895 ruhe ich mich aus. Ich weiß nicht, wie lange das her ist. Jedenfalls hat sich inzwischen viel verändert, und so muss einige Zeit verstrichen sein.«
    »Da wir das Jahr 2002 schreiben, hast du hundertsieben Jahre geschlafen«, informierte sie ihn. Nein, überlegte sie, er hat nicht geschlafen. Was in der Nähe des Buches gesprochen wurde, hörte er. Das hatte er ihr erzählt. Also war er wach gewesen. Eingesperrt. Allein. Seit über hundert Jahren bin ich der erste Mensch, mit dem er spricht – mit dem er zusammen ist. Heißes Mitleid schnürte ihr die Kehle zu. Sie wusste nur zu gut, wie man sich fühlte, wenn man anderen Leuten zuhörte und nicht zu ihnen gehörte. Wenn man abseits stand und zuschaute …
    »Ich würde gern aufbleiben«, sagte sie und unterdrückte ein Gähnen. »Aber ich muss schlafen, sonst kann ich morgen nicht klar denken.«
    »Das verstehe ich«, seufzte er, ohne seine Enttäuschung zu verhehlen.
    »Vielleicht möchtest du fernsehen?«
    »Fernsehen?«
    Sie ergriff den Teller, den er leer gegessen hatte, und spülte ihn. Dann führte sie Julian ins Wohnzimmer zurück, schaltete das TV-Gerät ein und zeigte ihm, wie man mit der Fernbedienung durch die Kanäle zappte.

    »Unglaublich«, murmelte er auf seiner ersten Surf-Tour.
    »Ja, ziemlich raffiniert.« Damit war er erst einmal beschäftigt. Die meisten Männer benötigten nur dreierlei, um glücklich zu sein – Essen, Sex und eine Fernbedienung. »Gute Nacht.« Grace wandte sich zur Treppe.
    Als sie an ihm vorbeiging, berührte er ihren Arm. Nur ganz leicht. Trotzdem rann ein erregender Schauer über ihren Rücken.
    Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Aber in seinen Augen las sie seine Gefühle, sah seine Qual, seine Wünsche, vor allem seine Einsamkeit.
    Offenbar wollte er nicht, dass sie ihn verließ. Sie fuhr mit der Zunge über ihre trockenen Lippen – und konnte nicht fassen, was sie ihm vorschlug. »In meinem Zimmer habe ich auch einen Fernseher. Schau dir doch da oben irgendwas an, während ich schlafe.«
    Julian grinste verlegen und folgte ihr die Treppe hinauf.
    Seltsam – obwohl er nichts gesagt hatte, erriet sie, was ihn bedrückte, die Angst vor dem Alleinsein. Diese Erkenntnis weckte sonderbare Emotionen in ihm.
    Zärtlichkeit? Da war er sich nicht sicher.
    Grace führte ihn in ein Schlafzimmer mit einem großen Vierpfostenbett an der Wand gegenüber der Tür. Auf einer Kommode stand ein Kasten. Vermutlich war dies das Gerät, das sie »Fernseher« nannte. Sie beobachtete, wie er umherwanderte, die Bilder an den Wänden und auf dem Toilettentisch betrachtete – Fotos von ihren Eltern, von Selena und ihr selbst auf dem College, von dem Hund, der ihr als Kind gehört hatte.
    »Lebst du allein?«, fragte Julian.
    »Ja«, antwortete

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