Magie der Sehnsucht - Roman
Sie selbst konnte nicht so formvollendet essen. Wo hatte er gelernt, die Spaghetti so geschickt um die Gabel zu wickeln?
»Gab es im alten Makedonien schon Gabeln?«, fragte sie.
»Wie bitte?« Verwundert unterbrach er seine Mahlzeit.
»Oh, ich überlege nur, wann die Gabel erfunden wurde. Hat man sie schon in deiner Zeit benutzt?«
Was soll das alberne Gefasel?, schrie sein Gehirn. Aber das darf ich ihr nicht verübeln. Sie ist verwirrt. Wie oft kommt es denn vor, dass eine griechische Statue zum Leben erwacht? Noch dazu eine, die so aussieht … »Ich glaube, die Gabel wurde im fünfzehnten Jahrhundert erfunden.«
»Tatsächlich? Wo warst du damals?«
»Bei der Erfindung der Gabel?« Ausdruckslos erwiderte er ihren Blick. »Oder im fünfzehnten Jahrhundert?«
»Natürlich im fünfzehnten Jahrhundert …« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Warst du dabei, als die Gabel erfunden wurde?«
»Nein.« Er betupfte seine Lippen mit einer Serviette. »In jenem Jahrhundert wurde ich viermal gerufen – zweimal in Italien, je einmal in England und Frankreich.«
»Oh …« Grace versuchte sich vorzustellen, wie es damals gewesen sein musste. »Sicher hast du im Lauf der Jahrhunderte viel gesehen.«
»Eigentlich nicht.«
»Ach, komm schon! In zweitausend Jahren …«
»Meistens nur Schlafzimmer, Betten und Ankleidekammern.«
Sein emotionsloser Ton brachte sie zum Schweigen, und er aß weiter. In ihrer Fantasie erschien Pauls Gesicht. Sie
hatte nur einen einzigen selbstsüchtigen, rücksichtslosen Menschen kennen gelernt. Offenbar war Julian solchen Leuten viel öfter begegnet. Nach ein paar Minuten fragte sie: »Also liegst du einfach in diesem Buch, bis dich jemand ruft?«
Er nickte.
»Und was machst du in dem Buch, um dir die Zeit zu vertreiben?«
Statt zu antworten, zuckte er die Achseln. Allzu viele Möglichkeiten, um sich auszudrücken, hatte er nicht. Und kaum Worte.
Grace setzte sich zu ihm an den Tisch. »Da wir einen ganzen Monat zusammen verbringen werden – möchtest du diese Zeit nicht etwas angenehmer gestalten und mit mir reden?«
Überrascht schaute er auf. Er erinnerte sich gar nicht, wann jemand zuletzt mit ihm gesprochen hatte. Abgesehen von diversen Anweisungen, wie er die sinnliche Lust steigern sollte. Oder er war ins Bett zurückgerufen worden.
Schon in jungen Jahren hatte er erkannt, dass die Frauen nur eins von ihm wollten, einen seiner Körperteile zwischen ihren Schenkeln.
Bei diesem Gedanken ließ er seinen Blick langsam über Graces Körper wandern. Dann konzentrierte er sich auf ihre Brüste und sah, wie sich die Knospen vor seinen Augen aufrichteten.
Ärgerlich verschränkte sie die Arme vor der Brust und wartete, bis er in ihr Gesicht schaute.
Julian lachte beinahe. Nur beinahe. »Mit einer Zunge kann man viel unterhaltsamere Dinge anfangen, als zu reden. Zum Beispiel könnte ich deine Brüste damit liebkosen oder deine Halsgrube.« Nun blickte er nach unten. »Von anderen Regionen deines Körpers ganz zu schweigen.«
Sekundenlang war sie schockiert, dann belustigt – und schließlich erregt.
Als Sexualtherapeutin habe ich schon schlimmere Dinge gehört, sagte sie sich. Aber noch nie aus dem Mund eines Mannes, dessen Zunge sie interessieren würde. »Ja, da hast du Recht – mit einer Zunge kann man sehr viel anfangen – zum Beispiel könnte man sie abschneiden.« Voller Genugtuung sah sie ihn blinzeln. »Aber ich rede gern. Und du bist hier, um meine Wünsche zu erfüllen, nicht wahr?«
Fast unmerklich spannte sich sein Körper an. Missfiel ihm die Rolle, die er spielen musste? »Ja, das stimmt.«
»Dann erzähl mir, was du treibst, wenn du in diesem Buch steckst.«
Sein intensiver Blick drohte sie zu durchbohren – entnervend, faszinierend, sogar beängstigend. »Darin fühle ich mich wie in einem Sarkophag. Ich höre Stimmen, aber ich sehe nichts – nicht einmal einen Lichtschimmer. Unbewegt warte ich und lausche.«
Voller Unbehagen erinnerte sie sich an jenen Tag, wo sie sich versehentlich im Werkzeugschuppen ihres Vaters eingesperrt hatte. Kein Licht, kein Ausweg. Einer Panik nahe, hatte sie gegen die Tür gehämmert und sich ihre Hand verletzt. Schließlich hatte ihre Mutter ihr Geschrei gehört und sie befreit.
Auch jetzt litt Grace immer noch an klaustrophobischen Zuständen. Nur zu gut konnte sie sich ausmalen, wie es sein musste, so viele Jahrhunderte in einem Buch zu verbringen. »Wie grauenvoll«, wisperte sie.
»Mit der Zeit gewöhnt man
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