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Magie der Sehnsucht - Roman

Magie der Sehnsucht - Roman

Titel: Magie der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherrilyn Kenyon
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sie und nahm ihr Nachthemd von der Lehne des Jenny-Lind-Schaukelstuhls neben dem Bett. Dann streifte ihr Blick das grüne Badetuch, das immer
noch seine Hüften umschlang. In diesem Aufzug durfte er sich nicht zu ihr legen.
    Doch, widersprach eine innere Stimme.
    Unmöglich.
    Bitte!
    Pst, lass mich nachdenken.
    Im Schlafzimmer ihrer Eltern verwahrte sie die Pyjamas des Vaters, auch alle anderen Sachen. Wie in einem Schrein. Da Julian ungewöhnlich breite Schultern hatte, würden ihm die Jacken nicht passen. Aber eine der Tunnelzughosen konnte er in der Taille regulieren. Selbst wenn sie zu kurz war, würde sie wenigstens seine Blöße bedecken.
    »Warte hier, ich bin gleich wieder da.«
    Nachdem sie zur Tür hinausgeeilt war, trat er an eines der breiten Fenster und zog die weißen Spitzengardinen auseinander. Draußen glitten eigenartige Fahrzeuge vorbei. Das mussten Automobile sein. Was für seltsame Geräusche sie erzeugten – ein An- und Abschwellen, wie Ebbe und Flut … Lichter erhellten die Straße und die Gebäude ringsum. In gewisser Weise glichen sie den Fackeln, die einst in seiner Heimat gebrannt hatten.
    Welch eine merkwürdige Welt, seiner eigenen irgendwie ähnlich – und doch ganz anders …
    Julian versuchte, seine visuellen Eindrücke mit den Wörtern in Einklang zu bringen, die er im Lauf der letzten Jahrzehnte gehört hatte und die er nicht verstand. Zum Beispiel TV und Glühbirnen.
    Zum ersten Mal seit seiner Kindheit fürchtete er sich. Die Veränderungen, die er erblickte, missfielen ihm. Vor allem, weil sie so schnell auf diese Welt einstürmten.
    Was mochte ihn erwarten, wenn er das nächste Mal zu einer Herrin gerufen wurde? Konnten sich noch mehr Dinge ändern?

    Oder würde man ihn nie wieder aus dem Buch holen? Ein schrecklicher Gedanke … Musste er seine Gefangenschaft für immer ertragen, ganz allein und hellwach, das beklemmende Dunkel spüren, das den Atem aus seinen Lungen presste und qualvolle Schmerzen durch seinen Körper jagte?
    Nie mehr wie ein Mensch umhergehen – mit niemandem sprechen, nie wieder eine Frau berühren?
    Jetzt benutzten die Leute eigenartige Geräte, die sie Computer nannten. Darüber hatte er einen Ladenbesitzer mit seinen Kunden reden hören. Und die hatten behauptet, eines Tages würden die Computer alle Bücher ersetzen.
    Was würde dann mit ihm geschehen?

    In ihrem rosa Nachthemd betrat Grace das Schlafzimmer ihrer Eltern und blieb vor der Kristallschale auf dem Toilettentisch stehen. Nach dem Begräbnis hatte sie den Ehering ihrer Mutter hineingelegt. Wehmütig sah sie den halbkarätigen Diamanten in der lanzettförmigen Fassung funkeln.
    Ihre Kehle verengte sich, mühsam kämpfte sie mit den Tränen.
    Damals hatte sie eben erst ihren vierundzwanzigsten Geburtstag gefeiert – arrogant genug, um sich einzubilden, sie wäre erwachsen und könnte alle Schwierigkeiten meistern. Oh ja, sie hatte sich für unbesiegbar gehalten. Und dann war ihre ganze Welt zusammengebrochen, in wenigen Sekunden.
    Der Tod ihrer Eltern hatte ihr alles genommen, ihre Sicherheit, ihren Glauben, ihr Gerechtigkeitsgefühl und – am schlimmsten – die liebevolle Unterstützung dieser
beiden Menschen. In ihrer jugendlichen Eitelkeit war sie nicht auf die plötzliche Leere in ihrem Leben vorbereitet gewesen.
    Und jetzt, fünf Jahre später, trauerte sie immer noch um ihre Eltern. Tief und leidvoll. Die Behauptung, es sei besser, die Liebe zu verlieren, als ihr niemals zu begegnen, war reiner Humbug. Nichts konnte so schrecklich sein wie der Verlust geliebter Menschen, die bei einem sinnlosen Autounfall starben.
    Unfähig, den Tod der Eltern zu akzeptieren, hatte sie die Tür dieses Zimmers am Tag nach der Beerdigung geschlossen und nichts darin geändert.
    Nun öffnete sie die Schublade, in der die Pyjamas ihres Vaters lagen. Seit dem Nachmittag, an dem die Mutter sie zusammengefaltet hatte, waren sie nicht mehr berührt worden.
    Beinahe glaube sie, die Mutter lachen und über den konservativen Geschmack des Vaters scherzen zu hören, der Flanellpyjamas bevorzugt hatte. Schlimmer noch – sie erinnerte sich so schmerzlich an die heiße, innige Liebe zwischen den beiden.
    Was würde sie dafür geben, könnte sie irgendwann eine ebenso perfekte Ehe führen wie ihre Eltern … Fünfundzwanzig Jahre lang waren sie verheiratet gewesen – und sie hatten sich bis zum Ende genauso geliebt wie am Anfang.
    Grace besann sich auf keinen einzigen Tag, an dem ihre Mutter nicht glücklich

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