Magie der Sehnsucht - Roman
gelächelt oder den Vater sanft gehänselt hätte. Wenn sie spazieren gingen, hielten sie einander wie Teenager an den Händen und tauschten rasche Küsse, wann immer sie glaubten, niemand würde sie beobachten.
Aber Grace hatte es gesehen. Und sie erinnerte sich daran. Von einer solchen Liebe träumte sie. Aber bisher
hatte sie keinen Mann gefunden, der ihr den Atem nahm, ihr Herz schneller schlagen ließ und ihre Sinne betörte, ohne den sie nicht leben könnte.
»Oh Mama«, wisperte sie und wünschte inständig, ihre Eltern würden noch leben.
Und sie wünschte …
Was? Das wusste sie nicht genau. Irgendetwas in ihrem Leben, das Freude auf die Zukunft weckte, das sie ebenso beglückte wie die Liebe des Vaters ihre Mutter in all den Jahren.
Stöhnend biss sie sich auf die Lippen. Eine dunkelblau und weiß karierte Pyjamahose in der Hand, floh sie aus dem Zimmer.
»Da«, sagte sie, warf Julian die Hose zu und rannte ins Bad. Er durfte ihre Tränen nicht bemerken. Nie wieder würde sie einem Mann ihre Verletzlichkeit zeigen.
Julian vertauschte das grüne Tuch, das seine Hüften umhüllt hatte, mit der Pyjamahose. Dann folgte er Grace. Sie war hinter der Tür eines Nebenraums verschwunden und hatte sie zugeworfen.
Vorsichtig öffnete er die Tür. »Grace?«
Als er sie weinen sah, erstarrte er. Sie stand vor einem weißen Becken und presste einen Lappen auf ihren Mund, um ihr Schluchzen zu ersticken.
Trotz seiner harten Schulung und einer jahrhundertelang geübten Selbstdisziplin stieg Mitleid in ihm auf. Warum weinte sie so herzzerreißend? Das verunsicherte ihn.
Mit zusammengepressten Zähnen versuchte er, seine ungewohnten Gefühle zu verdrängen. Allzu viel durfte man nicht über andere Menschen erfahren. Das hatte er schon in seiner Kindheit gelernt. Und man sollte auch nichts für sie empfinden. Jedes Mal, wenn er so leichtfertig gewesen
war, diesen Fehler zu begehen, hatte er bitter dafür büßen müssen.
Außerdem würde die Zeit, die er hier verbringen würde, bald ein Ende finden. Viel zu früh.
Je weniger er sich mit Graces Problemen und ihrer Lebensweise befasste, desto leichter würde er seine nächste Gefangenschaft ertragen.
Und dann erinnerte er sich beklommen an ihre vulgären Worte. So treffend hatte sie sich ausgedrückt. Oh ja, er glich einem Kater, der sein Vergnügen suchte und dann wieder verschwand.
Bei diesem Gedanken umklammerte er den Türknauf. Er war kein Tier. Auch er hatte Gefühle.
Zumindest früher …
Ehe er sein Verhalten überdenken konnte, betrat er den Raum und nahm Grace in die Arme. Wie einen Rettungsanker umfing sie ihn. Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht an seiner nackten Brust, ihr ganzer Körper zitterte.
Da entstand eine sonderbare Emotion in seinem Herzen, eine drängende Sehnsucht, für die er keinen Namen fand.
Nie zuvor hatte er eine weinende Frau getröstet. Unzählige Male hatte er erotische Freuden genossen, aber noch nie eine Frau einfach nur umarmt. Nicht einmal nach dem Sex. Sobald er seine Partnerinnen befriedigt hatte, stand er auf, wusch sich und suchte irgendeine Beschäftigung, bis sie seine Dienste wieder beanspruchen würden.
Auch vor dem Fluch hatte er keine Zärtlichkeit gezeigt, nicht einmal seiner Ehefrau. Als Soldat war er zur Gefühlskälte erzogen worden, zu unbeugsamer Härte.
»Kehr mit deinem Schild zurück – oder du solltest als Leiche darauf liegen!« Das hatte seine Stiefmutter befohlen und ihn an den Haaren aus ihrem Haus gezerrt, um seine kriegerische Ausbildung zu erzwingen. Schon im zarten
Alter von sieben Jahren hatte er sich eiserne Disziplin aneignen müssen.
Sein Vater war noch grausamer gewesen. Ein legendärer spartanischer Feldherr, hatte er keine Schwäche geduldet – keine Emotionen. Mit einer geflochtenen Lederpeitsche hatte er Julians Kindheit verdüstert und ihn gelehrt, seine Schmerzen zu unterdrücken, niemandem sein Leid zu zeigen.
Bis zum heutigen Tag glaubte Julian, die qualvollen Peitschenhiebe auf seinem nackten Rücken zu spüren, den ohrenbetäubenden Knall des Lederriemens zu hören, das verächtliche Grinsen seines Vaters zu sehen.
»Tut mir leid«, flüsterte Grace an seiner Schulter und holte ihn in die Gegenwart zurück. Zögernd schaute sie zu ihm auf, mit glänzenden, tränenfeuchten grauen Augen, und bewegte ein Herz, das bittere Jahrhunderte abgestumpft hatten.
Voller Unbehagen ließ er sie los. »Geht es dir jetzt besser?«
Grace wischte die Tränen von ihren Wangen und räusperte
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