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Magie der Sehnsucht - Roman

Magie der Sehnsucht - Roman

Titel: Magie der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherrilyn Kenyon
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Grace.
    »Keine Ahnung.«
    Triumphierend hielt sie das Buch hoch. »Die ›Ilias‹!«
    Da besserte sich seine Laune, und neben seinen Mundwinkeln erschienen endlich wieder die Grübchen. »›Singe den Zorn, oh Göttin …‹«
    »Ausgezeichnet! Sicher wird dich diese Ausgabe interessieren, denn sie enthält das griechische Original und die englische Übersetzung.« Sie gab ihm das Buch, und er nahm es so beglückt entgegen, als hätte sie ihm einen königlichen Schatz überreicht.
    Ehrfürchtig schlug er den dicken Band auf. Sein Finger berührte den altgriechischen Text. Diese Schriftzeichen
hatte er so lange nicht mehr gesehen – nur auf seinem Arm.
    Schon immer hatte er die »Ilias« und die »Odyssee« geliebt. Als kleiner Junge hatte er sich oft in der Kaserne versteckt und die Schriftrollen studiert. Oder er war auf den großen Hauptplatz der Stadt geschlichen, um den Vortragskünstlern zu lauschen.
    Warum Grace so großen Wert auf ihre Bücher legte, verstand er sehr gut. Das erinnerte ihn an seine Jugend. Jede Gelegenheit hatte er genutzt, um in eine Fantasiewelt zu entfliehen, wo die Helden stets siegten, wo Dämonen und Schurken vernichtet wurden, wo Mütter und Väter ihre Kinder liebten. In diesen Geschichten existierten weder Hunger noch Leid, stattdessen Freiheit und Hoffnung. Dank seiner Lektüre hatte er Mitgefühl und Güte kennen gelernt, Ehre und Anstand.
    »Vermisst du deine Heimat?«, fragte Grace.
    Nur meine Kinder, dachte er.
    Im Gegensatz zu Kyrian hatte er die Schlachten nie genossen, den Gestank von Tod und Blut, die Klagen der Sterbenden. Er kämpfte, weil man es von ihm erwartete. Und er hatte ein Heer befehligt, um einem Grundsatz Platons zu folgen, der erklärte, jeder Mensch eigne sich von Natur aus für bestimmte Aufgaben, die er idealerweise erfüllen sollte. Und Julian war der geborene Anführer, kein Mann, der anderen gehorchte. Nein, er vermisste seine Heimat nicht wirklich. »Etwas anderes kannte ich nicht, aber …«
    Grace strich über seine Schulter. Doch es war der Ausdruck seiner Augen, der sie zutiefst bewegte. »Wolltest du deinen Sohn zum Soldaten ausbilden lassen, Julian?«
    »Niemals hätte ich ihm eine so freudlose Jugend gewünscht, wie sie viele meiner Soldaten erlebten«, entgegnete
er heiser. »Welch eine Ironie, nicht wahr? Ich erlaubte ihm nicht einmal, das Spielzeugschwert zu behalten, das Kyrian ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, oder meine Waffe anzurühren, wenn ich nicht daheim war.«
    Liebevoll zog sie ihn an sich, und die Nähe ihres warmen Körpers tröstete ihn. »Wie hieß er?«
    Julian zögerte. Seit dem Tod seiner Kinder hatte er ihren Namen nicht mehr ausgesprochen – aus lauter Angst, der Kummer würde ihn überwältigen. Aber Grace sollte es erfahren. »Atolycus. Und meine Tochter hieß Callista.«
    Mit einem wehmütigen Lächeln teilte sie die Trauer um seinen Verlust. »Was für schöne Namen …«
    »Und sie waren schöne Kinder.«
    »Das glaube ich gern – wenn sie dir glichen.«
    Dankbar für ihre freundlichen Worte, streichelte er ihr seidiges Haar und schloss die Augen. Wie wundervoll wäre es, würde dieser Moment niemals enden …
    Den Gedanken, in seine leere Hölle zurückkehren zu müssen, hatte er stets gehasst. Aber jetzt fand er es schrecklicher denn je, Grace nie wiederzusehen, nie mehr ihren süßen Duft einzuatmen, nie mehr ihre weiche, rosige Wange zu berühren. Heilige Götter – und er hatte seinen Fluch schon früher für grausam gehalten.
    Sie hauchte einen Kuss auf seine Lippen. Dann ergriff sie das Buch.
    Sie wollte ihn retten. Und zum ersten Mal seit Jahrhunderten wollte er wirklich gerettet werden. Sie streckten sich auf dem Boden aus. Während sie nebeneinander lagen, schwelgte er in dem Gefühl, ihr Haar auf seinen Armen und seiner Brust zu spüren.
    Bis in die frühen Morgenstunden lauschte er den Geschichten von Odysseus und Achilles. Obwohl er merkte, dass sie müde wurde, las sie ihm geduldig die »Ilias« vor.
Als die Uhr dreimal schlug, gähnte sie und blätterte wieder eine Seite um. Blinzelnd bemühte sie sich, die Augen offenzuhalten. Aber die Erschöpfung besiegte ihre Willenskraft. Schließlich fielen ihr die Augen zu, und wenig später schlief sie ein.
    Lächelnd nahm er ihr das Buch aus der Hand, legte es beiseite und beobachtete ihren Schlummer. Er war nicht schläfrig. Keine einzige Sekunde dieses Beisammenseins wollte er versäumen, Grace anschauen und berühren, in ihrer Nähe schwelgen. Für

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