Magie und Schicksal - 2
ziemlich kühn vor.
Das eisige Wasser trifft mich wie ein Schock, und ich hätte beinahe laut aufgeschrien. Ich tauche rasch unter, weil ich weiß, dass es nicht einfacher wird, je länger ich zaudere. Ich schwimme ein wenig herum, wobei ich darauf achte, dass ich immer in Ufernähe bleibe. Erleichtert registriere ich die langsame, kaum merkliche Strömung. Faul plätschert das Wasser an mir vorbei, und ich lege den Kopf zurück, lasse meine Haare auf der Oberfläche treiben.
Das Wasser fühlt sich herrlich auf meiner nackten Haut an, obwohl es so kalt ist. Ein gewöhnliches Bad in einem Badezuber, mit warmem Wasser und Seife, könnte sich nicht köstlicher anfühlen. Noch nie war ich mir der Berührung des Wassers auf meinem Körper so bewusst. Ich denke an Dimitri und an sein Versprechen, in der Nähe zu bleiben. Es wäre ein Leichtes, ihn jetzt zu mir zu rufen. Ich bekomme eine Gänsehaut an Armen und Beinen, während ich mir seine nackte Haut an meiner vorstelle, hier im Wasser, seine Arme, die mich umfangen.
Ich drücke die Füße auf das steinige Bachbett und stehe auf, schüttele das Bild ab. Ich fühle mich frei wie ein Vogel. Als ob ich nichts zu verlieren hätte. Aber ich will mich Dimitri nicht auf diese Art und Weise hingeben. Ich
möchte dabei einen klaren Kopf haben, ansonsten hätte ich das Gefühl, mich selbst und unsere Liebe zu entehren.
Ich gleite mit den Händen über die Wasseroberfläche, glätte sie unter meinen Fingern, als ob ich meine Gedanken glätten wollte. Und da sehe ich es.
Anfangs glaube ich, es handele sich um eine Reflexion, eine optische Täuschung, eine Verzerrung des Lichts.
Aber nein.
Noch während ich die Wasseroberfläche betrachte, wird die Gestalt deutlicher. Sie reitet durch einen Wald, ganz ähnlich dem, in dem ich mich gerade befinde. Das goldene Haar des Mannes schimmert im Sonnenlicht so hell, dass ich es beinahe fühlen kann. Ich spüre mehr als ich es sehe, dass er viele Gefolgsleute hinter sich versammelt hat.
Und jemand reitet ihm voraus, in dem verzweifelten Versuch, zu entkommen.
Es ist Samaels Leibwache. Sie ist auf der Jagd, angeführt von dem entsetzlichen Mann, der mich in Chartres beinahe gefangen hätte. Das Zeichen der Schlange windet sich um seinen Hals, gerade noch sichtbar oberhalb seines Kragens. Sein Gesicht ist eine Maske aus wildem Rachedurst, und ich erinnere mich an sein Geheul vor der Kathedrale, als ich ihm meinen Dolch in die Kehle stieß, ehe es mir gelang, mich im Inneren der Kirche in Sicherheit zu bringen.
Mein Herz rast und ich kämpfe gegen die aufsteigende Panik an. Kommt diese Vision aus der Vergangenheit zu mir, aus der Gegenwart oder aus der Zukunft? Das strahlende
Sonnenlicht weist auf einen anderen Tag hin – oder vielleicht auf einen anderen Wald –, denn der Himmel über mir wird von dicken Frühlingswolken verdunkelt und ist keineswegs so klar wie der Himmel in meiner Vision.
Aber mehr Hinweise kann ich nicht erkennen. Ich weiß, dass der blonde Mann nicht allein ist. Der Rest der Wache folgt ihm auf dem Fuße. Und wen sonst sollten sie verfolgen außer mir?
Ich wate zum Ufer des Baches, verlasse das Wasser und wickele mich in die Decke, mit der ich mich abtrocknen wollte. Eilig greife ich nach meinen Kleidern und haste zu den Bäumen.
»Dimitri? Bist du da?« Ich rufe leiser, als ich es unter normalen Umständen getan hätte. Aber nun habe ich das Gefühl, dass hinter jedem Baum ein Feind lauert.
Nach wenigen Augenblicken taucht Dimitri ein Stück weit entfernt auf. Mein Gesichtsausdruck muss ihn alarmiert haben, denn er rennt schnell auf mich zu.
Er packt mich an den Schultern und zieht mich beunruhigt an sich. »Ist etwas passiert?«, fragt er besorgt. »Geht es dir gut? Sprich doch, was ist?«
Wasser tropft aus meinen Haaren auf mein Gesicht. Ich fühle es über meine Haut laufen. Ich fasse all meinen Mut zusammen, denn ich brauche ihn, um auszusprechen, was ich gesehen habe.
»Es ist die Leibwache«, sage ich. »Die Reiter. Sie kommen. «
35
W as für Möglichkeiten haben wir?«, fragt Brigid, nachdem wir uns um das Feuer versammelt haben.
Ich sitze neben Dimitri. Mein Haar ist noch feucht und durchnässt mein Hemd. Ich habe ihnen allen von meiner Vision erzählt, wobei ich es vermied, Tante Virginia anzusehen, die sich gewiss Vorwürfe macht, weil wir ihretwegen so langsam vorankommen.
»Viele jedenfalls nicht.« Edmund erhebt sich und geht mit gerunzelter Stirn auf und ab.
»Aber wenn sie vielleicht
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