Magie und Schicksal - 2
Umständen. »Wir suchen nach der Bedeutung von zwei Begriffen: Nos Galon-Mai und Sliabh na Cailli’.« Ich schüttele den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, ob ich es richtig ausspreche. Ich habe die Worte immer nur geschrieben gesehen. Aber es könnten Ortsangaben sein.«
Victor schüttelt den Kopf. »Der erste Begriff jedenfalls
nicht. Nos Galon-Mai ist das alte Wort für Beltane. Da bin ich mir sicher.«
Lächelnd wechseln Dimitri und ich einen Blick. Um das Tor zu schließen, müssen wir uns in der Morgendämmerung des ersten Mai in Avebury zusammenfinden: Alice, die Schlüssel, der Stein und ich. Das klingt logisch, besonders unter Berücksichtigung der Tatsache, dass alle Schlüssel um Mitternacht an Samhain geboren wurden, jenem Tag, der in genauer Opposition zu Beltane steht.
Die Prophezeiung begann an Samhain. Sie wird an Beltane enden.
Dass wir so rasch ein Rätsel der Prophezeiung lösen konnten, macht mich trunken vor Hoffnung, aber meine Freude versiegt gleich darauf, als Victor fortfährt.
»Das andere Wort – Sliabh na Cailli’, nicht wahr? Das sagt mir gar nichts.« Victor murmelt es immer wieder leise vor sich hin, als ob das ihm helfen würde, seine Bedeutung zu entschlüsseln. »Sie sagen, Sie haben es geschrieben gesehen?
Ich nicke.
»Könnten Sie es bitte für mich aufschreiben?«, fragt er.
»Ja gewiss. Haben Sie Stift und Papier?«
Victor steht auf. »Kommen Sie mit.«
Ich erhebe mich ebenfalls und registriere gereizt, dass Edmund und Dimitri es mir gleichtun.
Ein schmales Lächeln spielt auf Victors Lippen. »Du meine Güte! Sie müssen aber wichtig sein. Lassen Ihre Wachhunde Sie jemals allein?«
Ich verdrehe die Augen. »Gelegentlich.«
Victor nimmt meine Hand und führt mich um den kleinen Tisch, auf dem das Teegedeck steht. »Gentlemen«, richtet er das Wort an Dimitri und Edmund. »Ich versichere Ihnen, dass ich Miss Milthorpe nicht ans Ende der Welt entführen muss, um sie mit Schreibzeug zu versorgen. Ich habe doch tatsächlich alles, was sie braucht, dort auf dem Schreibtisch am Fenster. Aber Sie dürfen uns natürlich gerne Gesellschaft leisten.«
Beide schauen zu dem Schreibtisch hin, der keine zehn Schritte entfernt steht. Ich hoffe, sie fühlen sich genauso lächerlich wie ich. Beide lassen sich wieder auf ihren Plätzen nieder, während ich Victor zu dem Schreibtisch folge. Dort schaltet er die Tischlampe ein, dessen weiches Licht durch den Buntglasschirm fällt. Als er die flache Schublade vorn am Schreibtisch aufzieht, sehe ich das perfekt geordnete Innenleben: Etliche identische Schreibfedern liegen in Reih und Glied, ebenso wie drei oder vier Tintenfässer und ein Stapel Papier. Er nimmt von jedem eins heraus, legt das Blatt Papier auf den Tisch und reicht mir die Feder.
»Es wäre hilfreich, wenn Sie sich genau an die korrekte Schreibweise halten würden. Manchmal erinnere ich mich daran, wo ich ein bestimmtes Wort gesehen habe, und wenn auch nur ein Buchstabe nicht stimmt, finde ich auch in meinem Gedächtnis keine Verbindung.
Ich nicke. Ich werde kein einziges Wort der Prophezeiung je vergessen. Sie ist ein Teil von mir.
Victor schraubt den Deckel des Tintenfasses ab und stellt es auf den Schreibtisch. Ich tauche die Feder in die dunkelblaue Tinte, beuge den Kopf und schreibe die Worte, die auf der letzten Seite des Buchs des Chaos geschrieben stehen. Die Worte, hinter denen sich das Versteck des Steins verbirgt.
Sliabh na Cailli’.
Dann richte ich mich auf, reiche Victor den Stift und sage: »Bitte sehr.«
Er greift an mir vorbei, nimmt das Blatt Papier vom Schreibtisch und hält es näher ans Licht. Seine Lippen bewegen sich, während sie stumm die Worte formen.
»Stand da noch etwas? Etwas im direkten Umfeld dieser Worte, das mir helfen könnte, sie zu identifizieren?«, fragt er.
Ich beiße mir auf die Lippe. »Es heißt ›befreit aus dem Tempel Sliabh na Cailli’, Portal zu den Anderswelten‹.«
Ich verrate nur das Nötigste. Es ist mir zur Gewohnheit geworden, die Prophezeiung vor den Augen und Ohren anderer Menschen zu verbergen. Und andere vor den Fallstricken der Prophezeiung zu schützen.
Victor runzelt die Stirn. Seine Lippen bewegen sich immer noch, wie in einem stummen Gebet, immer wieder die Worte formend, die er nicht versteht. Ganz plötzlich legt er das Blatt Papier wieder auf den Schreibtisch und geht zu einem Regal, das sich bis zur Zimmerdecke erstreckt. Die Entschlossenheit auf seinem Antlitz gibt mir neuen Mut, und ich
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