Magie und Schicksal - 2
»Ich bin mir wohl bewusst, dass die Prophezeiung zu so mancher unkonventioneller Situation geführt hat, aber das, Mr Markov, kann ich unmöglich gestatten. Lias Ruf steht auf dem Spiel, und obwohl ich mir sicher bin, dass Sie Ihr Versprechen halten würden, würde es in den Augen der Welt äußerst ungehörig erscheinen.«
Ich stehe auf und knie mich vor sie hin, nehme ihre Hände in meine. »Tante Virginia, du weißt, dass ich dich wie eine Mutter liebe, nicht wahr?«
Sie nickt zögernd und ihre Augen werden feucht.
Mit weicher Stimme sage ich: »Dann musst du wissen, dass ich dir den allergrößten Respekt entgegenbringe,
aber…« Ich stocke, überrascht darüber, wie schwer mir das fällt. »Aber ich bitte dich nicht um Erlaubnis. Milthorpe Manor wird immer ein Heim für dich sein. Immer. Aber ich bin die Herrin im Haus, und ich fürchte, dass ich in diesem Fall auf meinem Wunsch bestehen muss. Dimitri hat mehr als einmal für meine Sicherheit gesorgt.
Ich kann den Kampf, der mir bevorsteht, nicht ausfechten, wenn ich mich nicht ausruhen kann. Und in dieser Zeit muss jemand auf mich aufpassen. Du sagst selbst, dass im Augenblick niemand ungeschoren davonkommt. Alle werden wir von den Seelen angegriffen. Unter diesen Umständen halte ich es für klug, Dimitri im Haus zu haben, um unser aller Wohlergehen willen.«
Die Kränkung steht Tante Virginia ins Gesicht geschrieben, und es schmerzt mich, dass ich dafür der Anlass bin. Aber ich bin kein Kind mehr. Ich habe viele Schlachten geschlagen. Ich habe unsagbare Verluste erlitten. Ich habe mir das Recht verdient, für mich selbst zu sprechen.
Und außerdem gibt es keine andere Möglichkeit.
Sie erhebt sich mit einem Seufzen. »Also gut. Wie du sagst, du bist die Herrin von Milthorpe Manor.« In ihrer Stimme liegt kein Groll, nur Erschöpfung und Bedauern. »Es ist allein deine Entscheidung.«
Sie verlässt den Raum ohne ein weiteres Wort, und ich frage mich, warum es so schwer sein muss, so verletzend für andere, seinen eigenen Weg zu gehen und eigene Entscheidungen zu treffen.
Das alles ist nicht angenehm, und das vorherrschende
Gefühl, das ich empfinde, ist Angst. Angst, dass ich gar nicht in der Lage bin, die nötigen Entschlüsse zu fassen, obwohl ich das alle immer glauben machen will.
Und Angst, dass diejenigen, die ich liebe, durch meine Unfähigkeit ins Verderben gestürzt werden.
29
L iegst du bequem?«
Von dem Sessel neben meinem Bett aus betrachtet mich Dimitri prüfend. Er hat sich rührend um mich gekümmert, hat mich wie ein kleines Kind in die Decke eingewickelt und mir einen Kuss auf die Stirn gegeben. In seiner Stimme liegt nur Warmherzigkeit, aber trotzdem – trotz allem, was unsere Gemüter beschwert – empfinde ich sein aufgeknöpftes Hemd und seine lässige Haltung als erschreckend aufreizend.
Ich nicke. »Ja, vielen Dank. Aber es tut mir leid, dass du die Nacht im Sessel verbringen musst, obwohl ich zugeben muss, dass du ganz zufrieden aussiehst.«
Er grinst und klopft sich aufs Knie. »Und da ist auch noch Platz für dich, wenn es dir im Bett zu langweilig wird.«
Ich bin entzückt und gleichzeitig beschämt, dass wir so leichtfertig miteinander scherzen können, obwohl wir uns einem schier unüberwindbaren Problem gegenübersehen. Ich lächle ihn an.
»Das wäre Tante Virginia aber gar nicht recht.«
Er seufzt dramatisch und macht es sich auf dem Sessel bequem. »Na gut. Wie du willst.«
Ich schließe die Augen. Es ist schön, ihn in meiner Nähe zu wissen. Im Zimmer ist es warm, ich schlafe in einem richtigen Bett und nicht mehr auf der nackten Erde, und die Behaglichkeit, die ich empfinde, sorgt dafür, dass ich schnell einschlafe.
Und ich weiß nicht, warum, aber in dieser Nacht träume ich nicht.
Dimitri ruht sich in dem Zimmer aus, das Tante Virginia für ihn hat herrichten lassen, und ich vermute, dass sich die Mädchen noch bei der Morgentoilette in ihren Zimmern befinden. Mit Luisa muss ich heute auch noch sprechen, aber im Augenblick liegt mir die Schuld für mein Verhalten Sonia gegenüber am schwersten auf der Seele. Vor ihrer Tür bleibe ich stehen.
Ich frage mich, ob sie mir verzeihen kann. Ob alles jemals wieder so werden kann wie früher. Aber die Antworten auf diese Fragen werde ich nicht bekommen, wenn ich weiter hier herumstehe. Ich hebe die Hand und klopfe an ihre Tür.
»Ruth, könntest du wohl …?« Die Tür wird schneller geöffnet, als ich erwartet habe, und da steht Sonia, mit einem
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