Magie und Schicksal - 2
mich nicht gehört haben. Niemand spricht. Niemand rührt sich. Am Ende ist es wieder Luisa, die das Schweigen bricht.
»Alice?!« Sie lacht rau auf. »Dann könnten wir genauso gut die Königinmutter höchstpersönlich um Hilfe bitten. Wobei ich glaube, dass wir bei ihr noch eine bessere Chance hätten.«
Die Endgültigkeit ihrer Worte erschreckt mich. Aber ich darf jetzt nicht zurückschrecken. Ich muss ihnen alles sagen, wenn ich sie wieder als meine Verbündeten, als meine Freundinnen gewinnen will.
»Und da ist noch etwas…«
Sonia tritt vor. »Was könnte es noch Schlimmeres geben? «
Ich hole tief Atem. »Wir brauchen Alices Hilfe – und zwar am Abend des ersten Mai. Am Abend von Beltane.«
Helenes Blick schweift zum Feuer im Kamin. »Aber das ist …« Sie wendet sich wieder zu mir.
Ich nicke. »In vier Wochen.«
Ich wünsche Sonia, Luisa und Helene eine Gute Nacht und gebe Brigid in ihre Obhut, während ich mit Tante Virginia und Dimitri im Salon verweile. Wir haben viel zu besprechen, und obwohl ich hoffe, dass ich den Riss, den meine Freundschaft zu Luisa und Sonia bekommen hat, kitten kann, gibt es einige Dinge, die ich zuerst meiner Tante anvertrauen möchte.
Wir erzählen Tante Virginia von Brigid und ihrem Vater, von dem Stein, auf dem die Beschwörung geschrieben steht, von der Reise zurück nach London und dem Ungemach, das mich befiel. Ich hatte erwartet, sie wäre schockiert oder zumindest entsetzt, dass die Seelen mich missbraucht haben, aber sie nickt nur verstehend.
»Ich leide ebenfalls unter ihren Attacken. Ich glaube, es geht uns allen so, obwohl die Mädchen, jung wie sie sind, noch mehr Widerstandskraft haben.«
»Was willst du damit sagen, Tante Virginia? Was ist passiert? «, frage ich erschrocken.
Sie winkt ab. »Es ist nur, dass uns die Seelen in unseren Träumen verfolgen und uns in die Anderswelten locken wollen.«
Ich halte den Atem an. »Euch alle?«
»Ja, die eine mehr, die andere weniger.« Sie zögert, als ob sie nicht wüsste, ob sie fortfahren solle. »Sonia scheint es am schlimmsten zu treffen, aber ich glaube, sie hält sich wacker.«
Ich sage meiner Tante nicht, dass es den Eindruck macht, als ob sie selbst das meiste zu erleiden hätte – abgehärmt,
wie sie aussieht. Ich weiß, dass sie das Ausmaß ihres inneren Kampfes herunterspielen würde. Stattdessen befrage ich sie über Sonia.
»Woher willst du das wissen, Tante Virginia? Woher willst du wissen, dass Sonia sich wacker hält?«
Sobald die Worte heraus sind, fühle ich mich schuldig wegen meines Misstrauens, aber die Frage nicht zu stellen, würde uns womöglich in große Gefahr bringen.
Ihr Seufzen klingt traurig. »Sie wehrt sich gegen den Ansturm mit jeder Unze Kraft, die sie hat. Sie liebt dich. Du bist ihre beste Freundin selbst jetzt noch. Sie will nichts weiter, als dir helfen. Will ihren Verrat wiedergutmachen. Ich glaube, sie würde eher sterben, als sich noch einmal den Seelen zu ergeben.«
Ich nicke. »Also schön.«
Die Wahrheit ist, dass ich gegen meinen Wunsch ankämpfen muss, in diesem Augenblick zu Sonia zu gehen. Mich bei ihr zu entschuldigen und sie um Vergebung zu bitten. Sie zu fragen, ob ich ihr irgendwie helfen kann. Aber das muss warten, denn es gibt noch etwas, das heute zur Sprache kommen muss.
»Wir haben eine Möglichkeit gefunden«, sage ich zögernd, wobei ich kurz zu Dimitri blicke und mich dann wieder meiner Tante zuwende, »um die Seelen in Schach zu halten und mir wenigstens ein bisschen Schlaf zu verschaffen. «
Sie hebt die Augenbrauen und wartet, dass ich fortfahre.
»Es ist… nun ja …« Ich merke, wie ich erröte, und ich
schelte mich stumm, weil ich mich wie ein dummes Schulmädchen benehme, wo doch das Schicksal der Welt auf dem Spiel steht. »Dimitri bleibt bei mir. In der Nacht. Er sorgt dafür, dass ich nicht den Verlockungen der Seelen anheimfalle, während ich schlafe.«
»Und ich möchte das auch weiter so handhaben, auch hier in Milthorpe Manor, bis alles vorbei ist. Es ist zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz aller im Haus«, erklärt Dimitri. »Ich weiß, dass es unüblich ist, aber Sie haben mein Wort, dass ich während der ganzen Nacht in einem Sessel neben Lias Bett sitze.«
Tante Virginia sagt nichts. Sie starrt uns nur an, als ob wir in einer fremden, unverständlichen Sprache gesprochen hätten. Endlich schüttelt sie sich leicht, als ob sie aus einem Traum erwacht wäre.
»Hierbleiben? In Lias Zimmer?« Sie strafft die Schultern.
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