Magie und Schicksal - 2
Dimitris Anwesenheit zur Sprache bringen kann. Dann beschließe ich, rundheraus zu sprechen. Ich trinke einen Schluck Tee und sage: »Ihr habt vermutlich gehört, dass Dimitri im Haus bleiben wird.«
Die Blicke, die sie einander zuwerfen, beweisen mir, dass sie über Dimitri gesprochen haben, bevor ich das Zimmer betrat.
»Brigid hat uns erklärt, dass er auf dich aufpasst«, sagt Luisa schließlich. »Damit dich die Seelen nicht verlocken können, während zu schläfst.«
Ich bin froh, dass Brigid mir meine Aufgabe erleichtert hat. »Tante Abigails Schlangenstein ist erkaltet, und anscheinend bin ich ohne seinen Schutz viel verletzlicher, als ich es zugeben möchte. Es ist zu unser aller Schutz, dass Dimitri bleibt, auch wenn es unter den Dienstboten einiges Gerede geben wird.«
Luisa lacht und wedelt abschätzig mit der Hand. »Pah! Es kümmert mich nicht im Mindesten, was die Dienstboten sagen! Ich will bloß, dass wir alle diese Sache gesund und munter hinter uns bringen. Wenn Dimitris Anwesenheit dazu beiträgt, ist er mir herzlich willkommen.«
Sonia habe ich die Situation schon erklärt, aber nun wende ich mich an Helene und Brigid. »Habt ihr etwas dagegen? «
Brigid lächelt. »Wenn ich etwas dagegen hätte, hätte ich es schon längst gesagt.«
Ich schaue Helene an. »Helene?«
Sie runzelt die Stirn, als müsse sie über ihre Worte nachdenken. »Ich glaube nicht, dass es meinem Vater gefallen würde.«
Luisa bricht in schallendes Gelächter aus. »Deinem Vater? Wie, bitte schön, sollte er denn davon erfahren? Bis ein Brief deinen Vater in Spanien erreicht und er eine Antwort an dich geschickt hat, ist das alles hier längst Vergangenheit. «
Helene strafft die Schultern. Sie wirkt mit einem Mal prüde, ein Eindruck, den ich bisher noch nicht von ihr hatte. »Nun ja, nur weil ich keine Gelegenheit habe, ihm davon zu berichten, muss ich noch lange nicht seine Wünsche missachten. «
Luisa seufzt. »Ich finde es bewundernswert, Helene, dass du die Wertvorstellungen deines Vaters respektierst.« Sie bricht ab und richtet ihre Augen auf die Zimmerdecke, als ob dort ihre nächsten Worte geschrieben ständen. »Nein, das stimmt nicht. Ich halte es für lächerlich und kurzsichtig. Aber was ich denke, ist unwichtig.«
Ich kämpfe gegen das Verlangen an, in ein hysterisches Gelächter zu verfallen. Derweil fährt Luisa fort.
»Die Sache ist die: Es stehen weit wichtigere Dinge auf dem Spiel, meinst du nicht auch? Wie zum Beispiel unser Überleben.« Sie hält einen Finger hoch. »Das Schicksal unserer unsterblichen Seelen.« Zwei Finger, dann drei.
»Die Zukunft der Menschheit. Solche Dinge. Ich bin dafür, dass Dimitri bleibt.« In einer Geste der Endgültigkeit legt sie ihre flache Hand auf den Tisch und schaut Helene fest in die Augen. »Und weil wir bereits wissen, dass die anderen meiner Meinung sind, fürchte ich, dass du überstimmt bist.«
Ich muss ein Lächeln unterdrücken, als sich Helene – sehr steif – vom Tisch erhebt und entschuldigt. Brigid allerdings fängt an zu lachen, nachdem Helenes Schritte in der Halle verklungen sind.
Ich halte mich zurück. »Meint ihr, jemand solle ihr nachgehen? «
Luisa nippt an ihrem Tee und zwinkert mir zu. »In einer Stunde ist sie drüber weg. Vertrau mir. Sonia und ich haben mittlerweile gelernt, wie wir mit Helene umgehen müssen. «
30
I ch bin ziemlich überrascht, dass uns Tante Virginia auf unserem Spaziergang durch die Stadt begleiten will, aber als sie sich Helene anschließt, begreife ich den Grund. In kameradschaftlichem Schweigen gehen die beiden ein Stück hinter uns, und ich erkenne, dass meine Tante wie kaum jemand anderes in der Lage ist, jemanden wie Helene zu verstehen. In gewisser Weise ähnelt sie Alice, allerdings ohne Alices dunkle Seiten. Aber sie bleibt genauso abseits wie meine Schwester. Es kommt mir ganz natürlich vor, dass meine Tante sich ihrer ganz besonders annimmt, und ich bin ihr für ihre Freundlichkeit und Fürsorge dankbar.
In den Straßen von London wimmelt der Verkehr. Kutschen rattern vorbei, Menschen hetzen hierhin und dahin. Luisa und ich gehen nebeneinander, während Sonia und Brigid vor uns schlendern. Sonia zeigt Brigid die Sehenswürdigkeiten und Luisa schaut mich von der Seite her an.
»Es ist schön, dass du wieder da bist, Lia.« Ich höre das
Lächeln in ihrer Stimme. Ich schaue sie an, und da ist es auch auf ihren Lippen und in ihren Augen. »Du bist doch wieder da, nicht wahr?«
Ihre Frage
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