Magie
Kinder. Junge Frauen und Männer, mit denen sie aufgewachsen war. Die Gebrechlichen und Schwachen ebenso wie die Robusten und Starken. Keiner von ihnen hatte eine Gefahr für Takado dargestellt. Aber sie alle waren eine Quelle für ein wenig zusätzliche Magie gewesen. Tiken ging auf eine Ecke des Feldes zu. Sie folgte ihm. Wie sie erwartet und gefürchtet hatte, waren auf zwei der Holzbretter die Namen ihrer Eltern geritzt.
Aha. Es ist wahr. Es gibt kein Leugnen mehr.
»Es wurde ihnen zuvor nichts angetan«, berichtete der Junge.
Sie sah zu ihm auf, verwirrt über seine Bemerkung. Sein Gesichtsausdruck war ernst, und in seinen Augen stand ein gehetzter Ausdruck. Er wirkte doppelt so alt wie zuvor. Sie schauderte. Was hat er gesehen?
»Wahrscheinlich, weil sie alt waren«, fuhr er fort. »Und vielleicht … vielleicht, weil dein Vater dem Sklaven geholfen hat.«
Sie hörte Jayan abermals fluchen, beachtete ihn jedoch nicht. Im Geiste sah sie Hanaras dünnes Gesicht vor sich und die verängstigten Augen. Sie schaute auf die anderen Gräber. »Ist er...?«
»Nein. Er ist nicht hier.« Die Miene des Jungen verdüsterte sich. »Man hat ihn nicht gefunden.«
Sie runzelte die Stirn und spürte den Verdacht in sich, wie einen Parasiten, der in ihr brütete. Der Junge glaubt, Hanara habe uns verraten, dachte sie. Warum sollte er seine Freiheit aufgeben? Nein, er hätte sich niemals gegen das Dorf gewandt, wenn er geglaubt hätte, eine andere Wahl zu haben.
»Was haben sie den anderen angetan?«, fragte Jayan leise hinter ihr.
Der Junge zögerte. »Was Sachakaner eben tun«, antwortete er ausweichend.
Belass es dabei, dachte sie und hoffte, dass Jayan ihrer unausgesprochenen Bitte nachkommen würde. Es wird dich vielleicht quälen, die Einzelheiten nicht zu kennen, aber es wird dich sicher quälen, wenn du sie kennst. Ich würde es lieber nicht wissen wollen.
Jayan wiederholte seine Frage. Sie ging davon, trat näher an das Grab ihrer Eltern heran und hoffte, weit genug entfernt zu sein, um nichts zu hören. Schließlich kniete sie sich in den Schmutz, legte eine Hand auf die Erde über dem Körper ihres Vaters und ließ die Trauer in ihr aufsteigen.
19
I ch hätte weglaufen sollen, dachte Hanara. Aber woher hätte ich wissen sollen, was geschehen würde?
Nichts hatte sich so entwickelt, wie er es erwartet oder befürchtet hatte. Nachdem er die Ställe verlassen hatte, lief Hanara über Felder und Straßen und suchte und suchte. Das Signallicht war verschwunden, aber er erkundete das Gebiet, in dem es sich befunden haben musste... Und er entdeckte nichts. Er ging im Kreis um das Dorf herum und suchte an all den Stellen, an denen das Signallicht zuvor aufgeblitzt war, doch vergeblich.
Als er Takado schließlich fand, saß der Magier auf einem Baumstumpf neben einem Pfad, an einer Kreuzung, an der Hanara bei seiner Suche mehrfach vorbeigekommen war. Takado lachte, als Hanara sich ihm zu Füßen warf. Er lachte, dann las er Hanaras Gedanken. Dann lachte er wieder.
Hat dir die Freiheit also nicht gefallen , hatte Takado gefragt. Hast du mich vermisst? Gib es zu, du bist gern mein Sklave. Das Schaufeln von Pferdemist ist nichts für dich, Hanara. Tief im Innern weißt du, dass du etwas Besseres bist. Du eitler kleiner Mann. Du bist nur dem mächtigsten Herrn treu.
Da hatte Hanara an Tessia gedacht. Hatte Takado deshalb das Dorf angegriffen? War er wütend darüber gewesen, dass Hanara glaubte, eine andere Person - eine Kyralierin - könne seiner Treue würdig sein? Aber Hanara hatte nur flüchtig an sie gedacht. Er hatte lediglich erkannt, dass es möglich gewesen wäre, ihr gegenüber loyal zu sein. In einem anderen Leben … Wenn Takado nicht bereits sein Herr gewesen wäre.
Als Takado das Dorf angegriffen hatte, war Hanara erschrocken und verwirrt gewesen. Aber sein Herr tat niemals etwas ohne Grund. Also, warum hatte er es getan?
Hanara blickte zu den drei Männern hinüber, die am Feuer saßen. Ichani. Verbannte und Ausgestoßene. Eine unwürdige Gesellschaft für seinen Herrn, der Land besaß und ein angesehener Ashaki war. Einige der Männer waren ihm bekannt. Sie alle waren seit Jahren Takados Freunde. Zu Anfang war keiner von ihnen ein Ausgestoßener gewesen. Aber nachdem der erste nach einer Fehde mit seinem Bruder, die ein schlechtes Ende genommen hatte, heimatlos geworden war, waren die übrigen ihm einer nach dem anderen auf diesem Weg gefolgt. Manchmal durch eigenes Tun, manchmal nicht. Takado
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