Magie
klar geworden, was sie da preisgegeben hatte. »… diesmal kann ich mir zumindest sicher sein, dass keiner von ihnen mich wird verführen wollen.« Diesmal. Im Gegensatz zum letzten Mal. Er musste begriffen haben, was beim ersten Mal zu dem spontanen Ausbruch ihrer Magie geführt hatte. Glaubte er, sie habe Takado ermutigt? Fragte er sich, wie weit Takados »Verführung« gegangen war?
Zumindest brauche ich mir jetzt keine Sorgen mehr zu machen, dass Mutter und Vater es erfahren könnten.
Bei diesem Gedanken verspürte sie einen heftigen Stich. Plötzlich wurden ihr all die Dinge bewusst, die sie niemals erfahren würden. Sie würden niemals erleben, dass sie eine höhere Magierin wurde. Ihre Mutter würde niemals ihrer Hochzeit beiwohnen - falls sie je heiratete. Ihr Vater würde niemals von ihrem Besuch bei der Heilergilde erfahren oder von der Obduktion, die sie mit angesehen hatte. Sie würde ihm niemals wieder bei der Heilung eines Patienten helfen.
Der Schmerz war beinahe unerträglich. Tränen stiegen ihr in die Augen, und da sie sich der drei Männer neben ihr bewusst war, schluckte sie heftig und blinzelte die Tränen fort. Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken, und machte sich stattdessen Sorgen, welche Gefahren im Dorf auf sie warten mochten.
Nachdem sie eine weitere Anhöhe überwunden hatten, zügelten die Magier ihre Pferde. Tessia und Jayan schlossen zu ihnen auf. Sie blickte auf das Dorf hinab, und ihr stockte der Atem.
Dakon hatte recht gehabt. Der größte Teil des Dorfes lag in Trümmern. Viele Gebäude sahen aus, als seien sie von einem riesigen Kleinkind zerschmettert worden, und über einigen von ihnen stieg noch immer Rauch auf. Wo das Herrenhaus gestanden hatte, war jetzt nur noch ein großer Haufen Schutt. Sie hielt Ausschau nach dem Haus ihrer Eltern. Es war inmitten der Ruinen schwer zu erkennen, wo es gestanden hatte.
Als Dakon sein Pferd abermals in Bewegung setzte, folgten sie ihm ins Tal hinunter. Erst als sie die Brücke erreichte, wurde Tessia klar, dass Takado sie eingerissen hatte. Sie ritten neben den Trümmern zum Ufer hinab, und die Pferde wateten mühelos durch das seichte Wasser. Sobald sie das andere Ufer erklommen hatten, erschien hinter einer zerstörten Mauer ein Junge, in dem Tessia einen der älteren Söhne des Schmiedes erkannte, und lief auf sie zu.
»Lord Dakon«, sagte er mit einer respektvollen Neigung des Kopfes.
»Tiken. Führe Meisterschülerin Tessia und Meisterschüler Jayan bitte zu den Gräbern«, sagte Dakon.
Die Gräber. Tessias Magen krampfte sich zusammen, und sie schauderte.
Der Junge nickte, dann blickte er zu Tessia hoch und bedachte sie mit einem mitfühlenden Lächeln. »Willkommen daheim, Tess. Folgt mir.«
Schweigend ritten Tessia und Jayan hinter Tiken her, der sie die Hauptstraße hinunterführte. Schließlich war Tessia imstande, den Schutthaufen zu erkennen, der einst ihr Heim gewesen war. Sie hielt inne, um die Trümmer anzustarren, und suchte nach irgendeiner Spur vertrauter Möbelstücke. »Ich habe die Tasche deines Vaters gefunden«, sagte Tiken. »Und einige andere Dinge, die nicht zerstört wurden. Alles, was vielleicht wertvoll oder nützlich sein könnte, habe ich an einen Ort geschafft, an dem die Dinge vor Regen geschützt sind.«
Sie sah ihn an. »Danke. Ich werde die Tasche brauchen, und falls es sich bei den anderen Dingen um Medikamente und Instrumente handelt, sollte ich die wohl ebenfalls an mich nehmen. Sie werden vielleicht benötigt werden, falls es zu einem weiteren Angriff kommen sollte.«
Tiken nickte. Jayan runzelte die Stirn. Sie bedeutete dem Jungen weiterzugehen.
Zwischen zwei Gebäuden hindurch, aus deren Fenster Rauch aufstieg, führte Tiken sie zu einem kleinen Feld. Lange Furchen aufgewühlter Erde zogen sich durchs Gras.
In jeder dieser Furchen ragte ein kurzes, dickes Holzbrett empor, in das grob Namen geritzt waren.
Jayan fluchte leise. »So viele«, murmelte er.
Tessia sah ihn nicht an. Sie fühlte sich sehr zerbrechlich und verübelte ihm plötzlich seine Anwesenheit.
Nachdem sie abgesessen hatte, hielt sie inne, um sich zu recken und ihre Beine ein wenig zu entspannen, dann ging sie schnell zu den Gräbern hinüber. So viele Gräber. Dakon hatte gesagt, dass nur einige wenige Kinder überlebt hatten. Alle anderen waren tot. Die alte Witwe Neslie, Jornen, der Schmied, und seine Frau. Cannia, die oberste Küchenmagd im Herrenhaus. Ganze Familien waren umgekommen. Mütter, Väter und
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