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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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durch, der war zu naiv. Was das Schweigen während des mystischen Rituals betrifft, so stimmte das nicht ganz. Als Prospero seine Beute durch das Kabinett führte und ihr noch im Gehen die zitronengelbe Bluse aufzuknöpfen begann, schnappte der unverständige Luzifer mit |64| seinen kindlichen Zähnen nach dem Finger des Aggressors (aus Eifersucht wohl), und das hätte beinahe alles verdorben. Der Doge schrie vor Überraschung auf und verlangte, das Reptil für die Dauer der Initiation in eine Karaffe zu sperren, und die Bißstelle, zwei winzige Punkte in der Haut, rieb er mindestens zwei Minuten mit Sprit ein. Colombina stand derweil mit offener Bluse daneben und wußte nicht was tun – sich wieder zuknöpfen oder die Bluse selber ausziehen.
    Nein, diese ärgerliche, unwesentliche Kleinigkeit hatte sie weggelassen.
    Sie setzte sich vor den Spiegel und betrachtete sich lange. Merkwürdig, irgendwelche Veränderungen – Reife oder Verruchtheit – konnte sie in ihrem Gesicht nicht finden. Die würden sich wohl erst später zeigen.
    Eines war klar: Schlafen würde sie in dieser großen Nacht nicht können.
    Colombina setzte sich in den Sessel am Fenster und versuchte, am bewölkten Himmel wenigstens einen Stern zu entdecken, sah aber keinen. Das verdroß sie. Doch dann sagte sie sich: recht so. Je finsterer, desto besser.
    Sie schlief doch noch ein. Und erst, als sie von lautem Klopfen aufwachte, begriff sie, daß sie geschlafen hatte.
     
    Geh
     
    Sie schlug die Augen auf, sah durchs offene Fenster die hoch stehende Sonne, hörte die Geräusche der Straße: Hufgetrappel auf dem Pflaster, die Rufe eines Scherenschleifers. Und wieder das hartnäckige Poch-poch-poch!
    Sie begriff, daß es schon später Vormittag war und daß jemand an die Tür klopfte, vielleicht schon lange.
    |65| Aber bevor sie öffnete, ging sie zum Spiegel, prüfte, ob ihr Gesicht vom Schlaf Falten oder Druckstellen hatte (nein, hatte es nicht), fuhr sich mit dem Kamm durch die Haare und zupfte den Morgenrock zurecht (japanischer Schnitt, Fudschijama auf dem Rücken).
    An der Tür klopfte es immer wieder. Dann ertönte ein gedämpfter Ruf: »Mach doch auf, mach auf! Ich bin’s!«
    Petja. Natürlich, wer sonst? Er würde ihr eine Eifersuchtsszene machen. Sie hätte ihm gestern nicht ihre Adresse geben sollen. Colombina holte tief Luft, ließ die Haare über die linke Schulter auf die Brust fallen und umwand sie mit einem roten Band.
    Luzifer lag zusammengeringelt auf dem Bett. Er hatte gewiß Hunger, der Ärmste.
    Na schön. Sie goß der kleinen Natter Milch in die Schüssel und öffnete erst jetzt dem eifersüchtigen Besucher.
    Petja stürmte herein, bleich, mit bebenden Lippen. Er warf der Hausfrau einen – so kam es ihr vor – bangen Blick zu und guckte gleich wieder weg. Colombina schüttelte den Kopf und wunderte sich über sich selbst. Wie hatte sie ihn für einen Arlecchino halten können? Ein Pierrot war er, ein richtiger Pierrot, und so hieß er ja auch.
    »Was willst du hier zu nachtschlafender Zeit?« fragte sie unwirsch.
    »Es ist doch schon Mittag«, stammelte er und zog die Nase hoch. Die Nase war feucht und rot. Hatte er sich erkältet? Oder geweint?
    Das letztere war der Fall. Das Gesicht des degradierten Arlecchino verzerrte sich, die Unterlippe schob sich vor, aus den Augen sprudelten Tränen. Er heulte richtig los. Dann redete er verworren, unverständlich, aber nicht von dem, was sie erwartet hatte.
    |66| »Ich heute früh hin zu ihm, in die Wohnung … in der Basmannaja, im Haus der Gesellschaft ›Welikan‹ … Wie du, ganz oben … Wollte ihn zur Vorlesung abholen … War noch ganz aufgeregt … Ich bin ihm doch gestern hinterhergelaufen, hab ihn nach Hause gebracht.«
    »Wen denn?« unterbrach sie ihn. »Sprich mal deutlicher.«
    »Nikifor. Na, Abaddon.« Petja schluchzte auf. »Er war wie von Sinnen, sagte immer wieder: ›Es ist entschieden, alles aus, jetzt muß ich nur noch auf das Zeichen warten.‹ Ich hab ihm gesagt, ›vielleicht kommt das Zeichen noch gar nicht‹, darauf er: ›Doch, es kommt, das weiß ich genau. Leb wohl, Petja. Wir sehn uns nicht wieder. Macht nichts‹, sagt er, ›ich hab’s ja so gewollt …‹«
    Ein neuer Weinkrampf unterbrach den Bericht, aber Colombina hatte schon verstanden.
    »Was denn, hat er das Zeichen bekommen?« Sie stöhnte auf. »Das Todeszeichen? Hat es sich bestätigt? Muß Abaddon jetzt sterben?«
    »Ist er schon«, heulte Petja. »Ich komm hin, die Türen sperrangelweit

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