Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
offen. Der Hausmeister ist da, der Besitzer des Hauses, Polizei. Er hat sich aufgehängt!«
    Colombina biß sich auf die Lippe, preßte die Hand gegen die Brust, so heftig hämmerte das Herz. Nun hörte sie zu, ohne Petja zu unterbrechen.
    »Prospero war auch schon da. Er sagte, er habe nachts nicht einschlafen können, und im Morgengrauen habe er deutlich Abaddon rufen hören. Da sei er aufgestanden, habe sich angezogen und sei hingefahren. Die Tür sei nur angelehnt gewesen, und Nikifor, Abaddon also, habe in der Schlinge gehangen. Er war schon kalt … Die Polizei weiß natürlich nichts von dem Klub. Sie hielt Prospero und mich einfach für Bekannte des Toten …« Petja kniff die Augen zu, |67| vergegenwärtigte sich wohl das schreckliche Bild. »Nikifor liegt auf dem Fußboden, um den Hals eine dunkelblaue Furche, die Augen rausgequollen, die Zunge riesengroß geschwollen, paßt nicht mehr in den Mund. Und ein bestialischer Gestank!«
    Petja zitterte, seine Zähne schlugen aufeinander.
    »Also hat er das Zeichen bekommen«, flüsterte Colombina und hob die Hand, um sich zu bekreuzigen (natürlich nicht aus Frömmigkeit, sondern aus kindlicher Gewohnheit), besann sich aber beizeiten und tat, als wollte sie eine Locke zurechtzupfen.
    »Wer soll das jetzt noch sagen?« Petja duckte sich furchtsam. »In dem Gedicht steht nichts von einem Zeichen.«
    »In welchem Gedicht?«
    »In dem Abschiedsgedicht. Das ist bei uns so üblich. Bevor wir uns mit dem Tod vermählen, müssen wir ein Gedicht schreiben, unbedingt. Prospero nennt das ›Epithalamion‹ oder ›Augenblick der Wahrheit‹. Er hat dem Polizisten einen halben Rubel gegeben, da durfte er es abschreiben. Ich hab mir auch eine Kopie gemacht …«
    »Gib sie mir!« forderte Colombina.
    Sie entriß Petja das zerknitterte, von Tränen verschmierte Blatt und las: »Das Rätsel«. Die Überschrift wohl.
    Aber das »Epithalamion« in Petjas Gegenwart zu lesen war unmöglich. Er schluchzte immer wieder und machte Miene, die Geschichte ein zweites Mal zu erzählen.
    Da faßte Colombina ihn bei den Schultern, schob ihn zur Tür und sagte nur ein einziges Wort:
    »Geh!«
    Genau das, was letzte Nacht Prospero zu ihr gesagt hatte. Nur zeigte sie jetzt des besseren Effekts halber mit dem Finger zur Tür.
    |68| Petja blickte sie flehend an, trat von einem Fuß auf den anderen, seufzte tief und trottete dann ab wie ein geprügelter Hund. Colombina runzelte die Stirn. Hatte sie etwa gestern auch so jämmerlich ausgesehen?
    Die Vertreibung des weinenden Petja bereitete ihr eine böse, doch unbestreitbare Freude. Ich habe bestimmt die Anlage zur
femme fatale
, dachte sie und setzte sich ans Fenster, um das letzte Gedicht des unschönen Menschen zu lesen, der im Leben den unschönen Namen Nikifor Sipjaga geführt hatte:
    Das Rätsel
     
    In bösen Nächten, wirren Nächten,
    Wenn zähneknirschend knarrt das Bett
    Und reckt den Wolfsschlund lechzend, ächzend,
    Und Schlaf ist Schreck.
     
    Der Schlaf ist schlimm, nicht schlafen ist noch schlimmer.
    Durchs weiße Fenster über meinem Bett
    Der Äste Knarrn, ihr bläulich weißer Schimmer
    Wie ein Skelett.
     
    Noch immer gibt es mich auf Erden.
    Ich – schaudernd, schweißgebadet, schwer.
    Im Haus ein Tier, wird stürmisch werden.
    Es klopft da wer.
     
    So wird es sein: wird stürmisch werden,
    Es grunzt das vollgefreßne Tier,
    Mich gibt es nun nicht mehr auf Erden.
    Wo bin ich hier?
    |69| Colombina hatte auf einmal schreckliche Angst – höchste Zeit, Petja hinterherzulaufen und ihn zu bitten, er möge zurückkommen.
    »Ach, Mamilein«, flüsterte die
femme fatale
. »Was denn für ein Tier?«

3.
Aus dem Ordner »Agentenmeldungen «
    An Seine Hochwohlgeboren Oberstleutnant Bessikow (persönlich)
     
    Gnädiger Herr Wissarion Wissarionowitsch!
     
    Nach unserer letzten Auseinandersetzung werde ich nicht müde, mir Vorwürfe zu machen, weil ich in mir nicht die Festigkeit fand, Ihnen sofort die gebührende Antwort zu geben. Ich bin ein schwacher Mensch, und Sie besitzen die sonderbare Eigenschaft, meinen Willen niederzuhalten. Am scheußlichsten ist, daß ich, wenn ich mich Ihnen füge, einen seltsamen Genuß empfinde, wofür ich mich hinterher selbst hasse. Ich schwöre Ihnen, ich werde diese elende, wollüstige Sklavenhaltung ausmerzen! Schriftlich fällt es mir leichter, all das zu äußern, was ich von Ihrer empörenden Forderung halte!
    Ich glaube, Sie mißbrauchen meine Sympathie für Sie und meine Bereitschaft,

Weitere Kostenlose Bücher