Magier von Moskau
freiwillig und uneigennützig mit den Behörden zu kooperieren bei der Bekämpfung des tödlichen Geschwürs, das die Gesellschaft zerfrißt. Ich habe Ihnen ja von meiner Familientragödie erzählt – von meinem heißgeliebten |70| Bruder, den die Selbstmordidee um den Verstand gebracht hat. Ich streite aus Idealismus gegen das Böse und bin kein »Mitarbeiter«, wie die bezahlten Informanten in Ihrer Behörde genannt werden. Und wenn ich eingewilligt habe, Ihnen diese Briefe zu schreiben (wagen Sie nicht, sie »Spitzelberichte« zu nennen), so keineswegs aus Angst, für meine früheren politischen Anschauungen verbannt zu werden (was Sie mir seinerzeit angedroht haben), sondern einzig deshalb, weil ich die Schädlichkeit des geistigen Nihilismus mit großer Bestürzung erkannt habe. Sie haben völlig recht: Materialismus und Betonung der Persönlichkeitsrechte – das ist nicht der russische Weg, darin stimme ich völlig mit Ihnen überein, und ich habe die Aufrichtigkeit meiner Einsicht wohl schon hinlänglich demonstriert. Sie aber haben sich anscheinend vorgenommen, mich der Möglichkeit zu berauben, ein anständiger Mensch zu bleiben! Das geht zu weit.
Ich erkläre Ihnen entschieden und unwiderruflich: Weder die Klarnamen der Zirkelmitglieder (die ich übrigens größtenteils gar nicht kenne) noch ihre Beinamen werde ich Ihnen verraten, denn das wäre niedrig und röche nach Spitzeltum.
Seien Sie barmherzig! Ich habe Ihren nachdrücklichen Bitten nachgegeben und eingewilligt, die Geheimgesellschaft der Selbstmörder ausfindig zu machen und in sie einzudringen, weil Sie einen politischen Hintergrund in diesem bedrohlichen Klub sahen, vergleichbar dem mittelalterlichen arabischen Orden der Assassinen, die fanatische Mörder waren und das Leben eines Menschen geringachteten, auch das eigene. Sie werden einräumen, daß ich die mir gestellte, nicht einfache Aufgabe bestens erfüllt habe – Sie erhalten fortan über die »Liebhaber des Todes« glaubwürdige Informationen |71| aus erster Hand. Das muß Ihnen genügen. Verlangen Sie nicht mehr.
Ich weiß nun zuverlässig, daß der Doge und seine Anhänger nicht das geringste mit Terroristen, Sozialisten oder Anarchisten zu tun haben. Mehr noch, diese Leute interessieren sich überhaupt nicht für Politik und verachten alle sozialen Fragen. In dieser Hinsicht können Sie ruhig sein – keiner von ihnen wird sich mit einer Bombe vor die Kutsche des General-Gouverneurs werfen. Es sind verdorbene, übersättigte Kinder unserer dekadenten Epoche – affektiert, schwächlich, aber auf ihre Art sehr schön.
Nein, Bombenwerfer sind die »Liebhaber« nicht, aber für die Gesellschaft, besonders für ungefestigte junge Menschen, sind sie höchst gefährlich, eben durch ihre blasse, betörende Schönheit. In der Ideologie und Ästhetik der Todesfreunde steckt eine unstrittige Verlockung und eine giftgeschwängerte Attraktivität. Sie verheißen ihren Anhängern die Flucht in eine zauberhafte Welt, fern der grauen, armseligen Alltäglichkeit – genau das, was erhabene und empfindsame Seelen instinktiv anstreben.
Die größte Gefahr geht natürlich von dem Dogen aus. Ich habe Ihnen diese furchteinflößende Gestalt bereits beschrieben, aber mit jedem Tag offenbart er sich mir deutlicher in seiner satanischen Größe. Ein Hexer, ein Vampir, ein Basilisk! Er ist ein wahrer Seelenfänger und unterwirft seine Umgebung so raffiniert seinem Willen, daß selbst Sie nicht an ihn heranreichen.
Vor kurzem erschien bei uns eine Neue – ein ulkiges und rührendes Mädchen aus Sibirien. Naiv, exaltiert, den Kopf voller Albernheiten, wie sie bei der heutigen Jugend in Mode sind. Hätte es sie nicht in unseren Klub verschlagen, so wäre sie mit der Zeit zur Vernunft und in die Jahre gekommen und |72| so geworden wie alle. Die übliche Geschichte! Aber der Doge hat sie sogleich in sein Spinnennetz gelockt, hat sie zu einem wandelnden Automaten gemacht. Das geschah vor meinen Augen, innerhalb weniger Minuten!
Diesem Wahnsinn muß zweifellos ein Ende gesetzt werden, aber eine Verhaftung ist hier nicht angezeigt. Sie würde aus dem Dogen nur eine tragische Figur machen, und was eine öffentliche Gerichtsverhandlung bewirken würde, darf man sich gar nicht ausmalen! Dieser Mann sieht gut aus, ist imposant und wortgewaltig. Wenn er in einem Gerichtsprozeß aufträte, würden in jeder Kreisstadt »Liebhaber« aus dem Boden schießen!
Nein, dieses Monster muß entzaubert, zertreten, in
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