Magier von Moskau
jämmerlichem und häßlichem Licht vorgeführt werden, damit ihm ein für allemal der Giftstachel herausgerissen wird!
Und hätten Sie denn überhaupt eine Handhabe, ihn zu verhaften? Die Gründung eines Dichterkreises wird schließlich vom Gesetz nicht geahndet. Es gibt einen Ausweg: Ich muß in den Handlungen des Dogen ein
corpus delicti
ermitteln und beweisen, daß dieser Herr bewußt und vorsätzlich ungefestigte Seelen zur furchtbaren Sünde des Selbstmords verleitet. Erst wenn es mir gelingt, sichere Indizien in die Hand zu bekommen, gebe ich Ihnen den Namen und die Adresse des Dogen preis, vorher nicht.
Zum Glück werde ich nicht des Doppelspiels verdächtigt. Ich spiele absichtlich den Hanswurst und empfinde sogar eine Art krankhafte Genugtuung bei den deutlich verächtlichen Blicken, mit denen einige unserer Schlauköpfe und vor allem der Doge mich bedenken. Gut so, sollen sie mich für einen jämmerlichen Wurm halten, das ist meinen Zwecken durchaus dienlich. Oder bin ich vielleicht wirklich ein Wurm? Was meinen Sie?
|73| Na schön,
passons
. Meine verletzte Eigenliebe ist hier ohne Belang. Mich quält etwas ganz anderes: Nach dem schrecklichen Tod von Abaddon ist bei uns wieder eine »Vakanz« entstanden, und ich warte sorgenvoll, daß ein neuer Falter angeflattert kommt und sich die Flügel in diesem Höllenfeuer versengt …
Gekränkt, aber mit aufrichtiger Hochachtung
ZZ
28. August 1900
|75| ZWEITES KAPITEL
1.
Aus Zeitungen
LAWR SHEMAILO TRIFFT SICH MIT DEM OBERPRIESTER DER »LIEBHABER DES TODES«
Es ist vollbracht! Ihrem gehorsamen Diener ist es gelungen, in das Allerheiligste des streng konspirativ agierenden Selbstmörderklubs vorzudringen, der im Zusammenhang mit dem Tod des 23jährigen Studenten S. der Moskauer Universität wieder einmal von sich reden machte. Wie es mir gelang, alle raffinierten Hürden zu überwinden, um mein Ziel zu erreichen, könnte Stoff für einen spannenden Roman sein. Aber da ich mein Wort gegeben habe, werde ich schweigen und sage den Herren Polizisten ein für allemal:
Niemals und unter keinerlei Umständen, auch nicht bei Androhung von Gefängnishaft, wird Lawr Shemailo seine Helfer und Informanten verraten.
Meine Begegnung mit dem Oberpriester der unseligen Sekte der Todesanbeter fand in einem finsteren Raum statt, dessen Lage für mich ein Geheimnis blieb, da mein Cicerone mich mit verbundenen Augen hinführte. Es roch nach feuchter Erde, ein paarmal streiften herabhängende Spinnenfäden mein Gesicht, und einmal huschte mit widerlichem Piepsen eine Fledermaus vorüber. Nach solchem Präludium war ich gewärtig, ein gruseliges unterirdisches Verließ mit schlierigen Wänden zu sehen, doch als man mir die Binde abnahm, erlebte ich eine angenehme Enttäuschung. Ich befand mich in einem geräumigen, schön eingerichteten Zimmer, das an den Salon eines reichen Hauses erinnerte: |76| Kristallüster, Bücherregale, Stühle mit geschnitzter Lehne und ein runder Tisch, wie er bei spiritistischen Sitzungen verwendet wird.
Mein Gesprächspartner verlangte, mit »Doge« angeredet zu werden. Er war selbstverständlich maskiert, und ich sah nur seine langen schneeweißen Haare, den kurzen grauen Kinnbart und die ungewöhnlich scharfen, genauer gesagt,
durchdringenden
Augen. Der Doge hat eine angenehme und klangvolle, zeitweilig betörende Stimme. Er ist ohne jeden Zweifel ein talentierter, außergewöhnlicher Mensch.
»Ich kenne Sie, Herr Shemailo, als Mann von Ehre und habe nur deshalb eingewilligt, mich mit Ihnen zu treffen«, so begann mein geheimnisvoller Gesprächspartner die Unterhaltung.
Ich verbeugte mich und versprach noch einmal, daß die »Liebhaber des Todes« von mir keine Indiskretion und kein falsches Spiel zu fürchten hätten.
Der Lohn für dieses Versprechen war eine ausgedehnte Lektion, die der Doge mir äußerst wortgewandt hielt, so daß ich unwillkürlich gespannt zuhörte. Ich werde versuchen, den Inhalt dieser exzentrischen Predigt mit meinen Worten wiederzugeben.
Das wahre Vaterland des Menschen sei, so der ehrenwerte Doge, nicht der Planet Erde und nicht der Zustand, den wir »Leben« nennen, sondern etwas Entgegengesetztes: der TOD, die SCHWÄRZE, das NICHTSEIN. Wir alle entstammten diesem Land der Finsternis. Dort hätten wir uns früher aufgehalten, und dorthin würden wir alsbald zurückkehren. Für einen kurzen, unwesentlichen Moment seien wir verurteilt, im Licht, im Leben, im Dasein zu weilen. Ja, verurteilt, das heißt, bestraft,
Weitere Kostenlose Bücher