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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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erleuchtete Roshdestwenka zum Boulevard eile. Die Welt trägt mich |82| auf elastischen Wellen, das Blut pulst in den Adern. Meine Absätze klappern so rasch, so zielstrebig, daß die Passanten mir hinterhersehen.
    Der Abend ist die Kulmination, die Apotheose des Tages. Später, nach Mitternacht, kehre ich nach Hause zurück und verlängere den Zauber, indem ich alles, was geschehen ist, ausführlich in mein Saffian-Büchlein schreibe.
    Heute ist vieles geschehen.
    Von Anfang an hat er sich ganz anders als sonst verhalten.
    Nein, so darf ich nicht schreiben, immer nur »er« und »er«. Schließlich schreibe ich nicht für mich, sondern für die Kunst.
    Prospero war anders als sonst – lebhaft, sogar erregt. Kaum kam er zu uns in den Salon, begann er zu erzählen:»Heute ist auf der Straße ein Mann an mich herangetreten. Er war von angenehmem Äußeren, elegant und selbstsicher. Leicht stotternd sagte er seltsame Worte: ›Ich kann in Gesichtern lesen. Sie sind der Mann, den ich brauche. Sie schickt mir das Schicksal.‹
    ›Aber ich sehe in Ihrem Gesicht gar nichts‹, antwortete ich feindselig, denn ich kann Unverfrorenheit nicht leiden. ›Ich fürchte, mein Herr, Sie haben sich getäuscht. Niemand kann mich irgendwohin schicken. Nicht einmal das Schicksal.‹
    ›Was haben Sie da?‹ fragte er, ohne meinen scharfen Ton zu beachten, und zeigte auf meine Manteltasche. ›Was beult sich da? Ein Revolver? Geben Sie her.‹
    Ihr wißt, daß ich niemals ohne meine ›Bulldogge‹ ausgehe. Das Benehmen des Unbekannten begann mich zu interessieren. Ohne ein Wort nahm ich die Waffe aus der Tasche und gab sie ihm – mal sehen, was wird.«
    |83| Loreley schrie auf. »Aber das war doch ein Wahnsinniger! Er hätte Sie erschießen können! Was sind Sie doch unvernünftig!«
    »Ich bin es gewöhnt, dem Tod zu vertrauen«, sagte Prospero achselzuckend. »Er ist weiser und gütiger als wir. Und außerdem, liebe Löwin, was hätte ich verloren, wenn mir der Irre eine Kugel in die Stirn geschossen hätte? Ein glänzendes Finale … Aber hört weiter.«
    Und er setzte seine Erzählung fort: »Der Unbekannte klappte den Revolver auf und schüttelte vier Patronen heraus, die fünfte ließ er drin. Ich sah ihm neugierig zu.
    Er drehte kräftig die Trommel, setzte plötzlich die Mündung an die Schläfe und drückte ab. Der Bolzen knackte gegen das leere Nest, in dem Gesicht des erstaunlichen Herrn zuckte kein Muskel.
    ›Werden Sie jetzt ernsthaft mit mir reden?‹ fragte er.
    Ich schwieg, ein wenig perplex von der Darbietung. Wieder drehte er die Trommel und setzte die Waffe an die Schläfe. Ich wollte ihn zurückhalten, aber er war schneller – der Bolzen knackte. Abermals hatte er Glück gehabt!
    ›Genug!‹ rief ich. ›Was wollen Sie?‹
    Er sagte: ›Ich möchte mich Ihnen anschließen. Sie sind doch der, für den ich Sie halte?‹
    Ich erfuhr, daß er schon lange nach den ›Liebhabern des Todes‹ suchte, um einer der ihren zu werden. Selbstverständlich hatte er nicht in meinem Gesicht gelesen, wer ich bin, das hatte er nur gesagt, um mich zu beeindrucken. In Wirklichkeit hat ihn eine raffinierte Nachforschung auf meine Spur geführt. Wie findet ihr das? Er ist ein hochinteressantes Subjekt, ich kenne mich in Menschen aus. Er schreibt auch Gedichte, im japanischen Stil. Wenn ihr sie hört, werdet ihr wissen, daß sie mit nichts zu vergleichen |84| sind. Ich habe ihn für heute herbestellt. Abaddons Platz ist schließlich noch vakant.«
    Ich war neidisch auf den unbekannten Herrn, der es verstanden hatte, unseren leidenschaftslosen Dogen so zu beeindrucken, aber ich hörte nicht sehr aufmerksam zu, denn mich beschäftigte etwas ganz anderes. Ich hatte die Absicht, ein neues Gedicht vorzutragen, an dem ich die ganze letzte Nacht gesessen hatte. Und ich hoffte, daß mir endlich etwas Gutes gelungen war und daß Prospero diesen Schrei meiner Seele weniger streng beurteilen würde als meine bisherigen Versuche, die … Na schön, darüber habe ich schon geschrieben, und ich will mich nicht wiederholen.
    Als ich an die Reihe kam, trug ich vor:
    Bald schon werden Sie vergessen
    Blonde Puppe, blaue Augen,
    Die vom Zauber ganz besessen,
    Nur noch Ihnen wollte glauben.
     
    Ganz egal wird Ihnen bleiben
    Die Ekstase voller Schmerzen,
    Die Vergötterung, die Leiden
    In dem kleinen Kunststoffherzen.
     
    Soll zu Gott ich flehn auf Knien?
    Puppenkirchen gibt es keine.
    Die einst unberührbar schien,
    Hört man »Ma-ma, Ma-ma«

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