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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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anzuschauen wie der Graf von Monte Christo; wohl darum hatte ihn der Hausmeister mit »Euer Erlaucht« angeredet. Die Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Gefangenen des Château d’If wurde noch hervorgehoben durch das gepflegte blasse Gesicht und den romantischen schmalen schwarzen Schnurrbart. Auch hatte der Stutzer etwa das gleiche Alter wie der Pariser Millionär – unter dem Zylinder schauten weiße Schläfen hervor.
    Zum Schluß kam ein kleiner vierschrötiger Asiat im Dreiteiler und mit Melone, die fast bis auf die Augen herabgezogen |88| war. Genauer, nicht die Augen, sondern die Äuglein, denn unter dem schwarzen Filz hervor starrten zwei schmale Schlitze Colombina an.
    Der Hausmeister wedelte mit den Händen gegen das Fräulein, als wollte er eine Katze verscheuchen.
    »Sie dürfen hier nicht rein! Gehen Sie!«
    Aber Monte Christo maß das schicke Fräulein mit aufmerksamem Blick und warf hin: »Nicht doch. Da, nimm das noch.«
    Er gab dem Bärtigen einen Geldschein, der Mann machte den Rücken krumm vor Begeisterung und nannte den Wohltäter nun schon »Durchlaucht«, was darauf schließen ließ, daß der schöne Stotterer wohl doch kein Graf und schon gar nicht Polizist war. Wo hätte man je gesehen, daß ein Polizist einem Hausmeister Rubelscheine zusteckt? Also auch ein Neugieriger, dachte Colombina. Wahrscheinlich hat er in der Zeitung von den »Liebhabern des Todes« gelesen und ist hergekommen, um die Behausung des letzten Selbstmörders in Augenschein zu nehmen.
    Der Schönling lüpfte den Zylinder (wobei sich zeigte, daß sein Haar nur an den Schläfen weiß und sonst schwarz war), stellte sich aber nicht vor, sondern erkundigte sich: »Sind Sie eine Bekannte von Herrn Sipjaga?«
    Colombina würdigte den Grafen von Monte Christo nicht nur keiner Antwort, sondern auch keines Blicks. Ihre erregte, feierliche Stimmung war zurückgekehrt und ließ keinen Raum für müßige Gespräche.
    Da senkte der zudringliche Herr die Stimme und fragte: »Sie gehören doch auch zu den ›Liebhabern des Todes‹?«
    Sie zuckte zusammen und sah ihn nun doch – erschrocken – an. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Aber ja doch.« Er stemmte den Rohrstock gegen den |89| Fußboden und bog nacheinander die Finger im grauen Handschuh auf. »Sie sind hereingekommen, ohne zu klingeln oder zu klopfen. Also wohnte hier ein B-Bekannter von Ihnen. Erstens. Sie finden hier Fremde vor, fragen aber nicht nach dem Mieter. Also wissen Sie schon von seinem traurigen Los. Zweitens. Das hat Sie jedoch nicht gehindert, in einem extravaganten Kleid und mit Blumen herzukommen. Drittens. Wer kann im Selbstmord einen Anlaß zum Gratulieren sehen? Allenfalls ein ›Liebhaber des Todes‹. Viertens.«
    Da mischte sich der Asiat ein, der recht flott russisch sprach, freilich mit schauerlichem Akzent.
    »Nich nur Liebhabel«, widersprach er lebhaft. »Wenn die edlen Samurai des Füsten Assano vom Shogun Ellaubnis bekamen, Harakiri su machen, alle begluckwunssten sie.«
    »Masa, die Geschichte von den siebenundvierzig treuen Vasallen erörtern wir ein andermal«, unterbrach Monte Christo den vierschrötigen Asiaten. »Jetzt habe ich, wie du siehst, mit der Dame zu reden.«
    »Sie haben vielleicht mit der Dame zu reden«, sagte Colombina scharf. »Aber die Dame nicht mit Ihnen.«
    »Erlaucht« breiteten entmutigt die Arme aus, und sie wandte sich zu der Tür, die nach rechts führte.
    Dort befanden sich zwei kleine Räume – ein Durchgangszimmer, das nur mit einem billigen Schreibtisch nebst Stuhl möbliert war, und ein Schlafzimmer. Hier fiel ein schwedisches Sofa ins Auge, neumodisch, aufklappbar, doch ganz abgewetzt und schief. Das Oberteil schloß nicht richtig mit dem Unterteil ab, und es schien, daß das Sofa seinen dunklen Rachen fletschte.
    Colombina erinnerte sich an eine Zeile aus Abaddons Abschiedsgedicht, und sie murmelte: »›Wenn zähneknirschend knarrt das Bett‹.«
    |90| »Was ist das?« fragte von hinten die Stimme Monte Christos. »Ein Gedicht?«
    Ohne sich umzudrehen, sprach sie halblaut den Vierzeiler:
    In bösen Nächten, wirren Nächten,
    Wenn zähneknirschend knarrt das Bett
    Und reckt den Wolfsschlund lechzend, ächzend,
    Und Schlaf ist Schreck.
    Das Sofa hatte mit seiner gewölbten Lehne in der Tat etwas Wölfisches.
    Das Fensterglas vibrierte (es war wie am Vortag windig), Colombina fröstelte und sprach die Schlußzeilen des Gedichts:
    Im Haus ein Tier, wird stürmisch werden.
    Es klopft da wer.
     
    So wird es sein:

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