Magier von Moskau
wird stürmisch werden,
Es grunzt das vollgefreßne Tier,
Mich gibt es nun nicht mehr auf Erden.
Wo bin ich hier?
Sie seufzte. Wo bist du jetzt, Auserwählter Abaddon? Bist du glücklich in der Anderen Welt?
»Das Abschiedsgedicht von N-Nikifor Sipjaga?« Das war weniger eine Frage als eine Feststellung des scharfsinnigen Stotterers. »Interessant. Sehr interessant.«
Der Hausmeister teilte mit: »Ein Tier hat ja wirklich geheult. Der Mieter von nebenan hat’s erzählt. Die Wände, Euer Exzellenz, sind dünn hier, heißen nur so. Als die Polizisten weg waren, ist der Mieter zu mir runtergekommen, weil er neugierig war. Und hat erzählt: In der Nacht, sagt er, hat wer angefangen zu heulen – ganz gruselig, als ob er ruft oder |91| droht. Und so bis zum frühen Morgen. Er hat an die Wand geklopft, denn er konnte nicht schlafen. Dachte schon, der Herr Sipjaga hätt sich einen Hund angeschafft. Aber da war kein Hund.«
»Interessante W-Wohnung«, sagte Monte Christo nachdenklich. »Auch ich höre einen Ton. Aber kein Heulen, eher ein Zischen. Und das kommt aus Ihrer Tasche, Mademoiselle.«
Er wandte sich Colombina zu und sah sie mit seinen hellblauen Augen an, die weder traurig noch fröhlich blickten.
Na, gleich werden sie erschrocken gucken, dachte Colombina schadenfroh.
»Wirklich, aus meiner Tasche?« sagte sie mit gespielter Verwunderung. »Ich höre nichts. Sehen wir mal nach.«
Sie hob das Ridikül absichtlich hoch, um es dem selbstsicheren Herrn vor die Nase zu halten, und ließ das Schloß aufschnappen.
Der kluge Luzifer ließ sie nicht im Stich. Er lugte aus der Tasche – wie das Teufelchen aus der mechanischen Spieldose –, riß den Rachen auf und zischte. Er hatte sich gelangweilt in der Enge und Dunkelheit.
»Heilige Gottesmutter!« schrie der Hausmeister, und sein Hinterkopf knallte gegen den Türrahmen. »Eine Schlange! Ganz schwarz! Ich hab doch heut noch keinen Tropfen getrunken!«
Der Graf von Monte Christo aber – wie schade! – erschrak nicht im geringsten. Er neigte den Kopf zur Seite, betrachtete die Schlange.
»Hübsches Natterchen!« sagte er beifällig. »Sie lieben Tiere, Mademoiselle? Löblich.«
Und, als wäre nichts gewesen, wandte er sich an den Hausmeister.
|92| »Sie sagen also, ein unbekanntes Tier hat geheult bis zum frühen Morgen? Das ist sehr interessant. Wie heißt der Nachbar? Na, der von nebenan. Was macht er?«
»Stachowitsch. Maler ist er.« Der Hausmeister warf furchtsame Blicke auf Luzifer und rieb sich den geprellten Hinterkopf. »Fräulein, ist die echt? Beißt sie auch nicht?«
»Und ob sie beißt!« antwortete Colombina hochmütig. Und zum Grafen von Monte Christo: »Selber Natterchen. Das ist eine ägyptische Kobra.«
»Kooobra, so so«, sagte der zerstreut, ohne zuzuhören.
Er blieb an der Wand stehen, wo an zwei Nägeln Kleidungsstücke hingen, offenbar Abaddons gesamte Garderobe: ein geflicktes Mäntelchen und eine abgewetzte Studentenuniform, offenbar aus zweiter Hand.
»Der Herr Sipjaga war wohl sehr a-arm?«
»Wie eine Kirchenmaus. Keine Kopeke Trinkgeld, nicht so wie bei Euer Gnaden.«
»Aber die Wohnung ist nicht übel. Bestimmt dreißig Rubel im Monat?«
»Fünfundzwanzig. Aber die hat nicht er bezahlt, woher auch. Bezahlt hat ein Herr Sergej Irinarchowitsch Blagowolski.«
»Wer ist das?«
»Weiß nicht. So steht es im Quittungsbuch.«
Während Colombina dem Gespräch lauschte, sah sie sich aufmerksam im Zimmer um, denn sie wollte herausbekommen, wo die Vermählung mit dem Tod stattgefunden hatte. Und sie fand die Stelle. Von einem Haken an der Decke hing das Ende des abgeschnittenen Stricks.
Sie betrachtete das derbe Eisen und das faserige Stück Hanf mit Andacht. O Gott, wie kläglich, wie unscheinbar |93| war doch das Tor, durch das die Seele aus der Hölle des Lebens in das Paradies des Todes gelangte!
Sei glücklich, Abaddon! sagte sie in Gedanken und legte ihr Sträußchen neben die Scheuerleiste.
Der Asiat trat näher und schnalzte mißbilligend mit der Zunge.
»Blaue Blumen nich gut. Die sind für Etlunkene. Einem Aufgehängten ssenkt man Mageliten.«
»Masa, du solltest den ›Liebhabern des Todes‹ einen Vortrag halten über die Ehrung von Selbstmördern«, bemerkte Monte Christo mit ernster Miene. »Was für Blumen gebühren zum Beispiel einem, der sich erschossen hat?«
»Lote«, antwortete Masa ebenso ernst. »Losen oder Mohn.«
»Und wenn einer Gift genommen hat?«
Der Asiat zögerte keine Sekunde.
»Gelbe
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