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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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weinen.
    Da war noch eine Strophe, die mir besonders gefiel (ich hatte darüber sogar ein paar Tränen vergossen), und in der stand, daß eine Puppe keinen Gott hat als den Puppenspieler. Aber der erbarmungslose Prospero gebot mir mit einer |85| Handbewegung, innezuhalten und warf geringschätzig hin: »Griespudding«.
    Meine Gedichte ließen ihn völlig kalt!
    Nach mir deklamierte Gdlewski, den Prospero ewig über den grünen Klee lobte, und ich ging leise hinaus. In der Diele stellte ich mich vor den Spiegel und weinte. Richtiger, ich heulte. »Griespudding!«
    In der Diele war es dunkel, und ich sah im Spiegel nur meine gebeugte Silhouette mit der dummen Schleife, die ganz zur Seite verrutscht war. Mein Gott, war ich unglücklich! Mir kam der Gedanke: Heute müßten die Geister mich rufen. Mit Vergnügen würde ich von euch allen weggehen, zum Ewigen Bräutigam. Aber es bestand wenig Hoffnung. Erstens waren die Geister in letzter Zeit entweder gar nicht erschienen, oder sie hatten unverständliches Zeug geredet. Und zweitens, weshalb sollte der TOD sich als Geliebte eine so nichtige, unbegabte Heulsuse aussuchen?
    Da klingelte es an der Tür. Ich richtete rasch die Schleife, wischte mir die Augen und ging öffnen.
    Mich erwartete eine Überraschung.
    Auf der Schwelle stand der Herr, den ich gesehen hatte, als ich Abaddon die Vergißmeinnicht brachte.
     
    Prinz Gendsi erscheint
     
    An dem Tag, an dem in der kleinen Wohnung unterm Dach der verheulte Petja-Cherubino erschien und die junge Frau zuerst mit der Nachricht vom Tode Abaddons und dann mit dem Abschiedsgedicht des Auserwählten erschreckte, hatte Colombina lange im Sessel gesessen und die rätselhaften Zeilen wieder und wieder gelesen.
    Und sie weinte natürlich. Um Abaddon, obwohl er auserwählt |86| war, tat es ihr leid. Später hörte sie auf zu weinen, denn wozu weinen, wenn ein Mensch das bekommen hat, was er anstrebte? Seine Hochzeit mit der Ewigen Braut war vollzogen. In solchen Fällen gilt es nicht zu weinen, sondern sich zu freuen.
    Und Colombina machte sich auf den Weg zur Wohnung des Frischvermählten, um zu gratulieren. Sie hatte ihr bestes Kleid angezogen (weiß, luftig, mit zwei gestickten Silberblitzen auf dem Mieder), kaufte ein Sträußchen zarter Vergißmeinnicht und fuhr zur Basmannaja-Straße. Die Schlange Luzifer nahm sie mit, aber nicht als Halsschmuck (die schwarze Farbe war an diesem Tag unangebracht), sondern in ihrem Täschchen, damit sie sich allein zu Hause nicht langweilte.
    Das Haus der Gesellschaft »Welikan« – neu, aus Stein, vier Stock hoch – fand sie mühelos. Sie wollte die Blumen einfach auf die Schwelle der Wohnung legen, aber die Tür erwies sich als nicht versiegelt, ja, sie war nur angelehnt. Aus dem Innern drangen gedämpfte Stimmen. Wenn andere hineindürfen, warum dann nicht auch ich, dachte die Gratulantin und trat ein.
    Die Wohnung war klein, nicht größer als ihre in Kitaigorod, aber erstaunlich adrett und keineswegs ärmlich, wie die abgenutzte Kleidung des verblichenen Abaddon vermuten ließ.
    In der Diele blieb Colombina stehen und versuchte zu erraten, wo das Zimmer lag, in dem der Hochzeiter seine Braut empfangen hatte.
    Links war wohl die Küche. Dort sagte eine Männerstimme leicht stotternd: »Und was ist das für eine T-Tür? Der Hintereingang?«
    »Jawohl, Euer Erlaucht«, antwortete eine andere Stimme |87| heiser und unterwürfig. »Nur hat der Herr Student sie nicht benutzt. Der Hintereingang ist für die Diener, aber er hat alles selbst gemacht. Denn er war ja ein Habenichts.«
    Etwas klapperte kurz, Metall klirrte.
    »Also, er hat sie nicht benutzt? Und warum sind die A-Angeln geölt? Und zwar sehr gründlich.«
    »Ich weiß nicht. Jemand muß sie geölt haben.«
    Der Stotterer sagte seufzend: »Sehr zutreffende Mutmaßung.«
    Im Dialog trat eine Pause ein.
    Das muß der Untersuchungsführer der Polizei sein, vermutete Colombina und retirierte zum Ausgang, damit man ihr nicht noch mit Fragen zusetzte: wer sie sei, was sie hier wolle, was die Vergißmeinnicht zu bedeuten hätten. Aber zu spät, aus dem kleinen Korridor kamen ihr drei Personen entgegen.
    Vornweg trippelte, sich unentwegt umdrehend, ein bärtiger Hausmeister mit Schürze, ein Blechschild auf der Brust. Ihm folgte gemächlich, mit einem Rohrstock auf den Fußboden klopfend, ein hochgewachsener hagerer Herr in einem gutgeschnittenen Gehrock und einem blütenweißen Hemd mit makellosem Kragen, auf dem Kopf einen Zylinder,

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