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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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auserwählt‹, sagte sie in unheimlichem Flüsterton. ›Und ohne Seancen! Der Zarewitsch Tod hat mir das Zeichen gesandt.
Die schwarze Rose in der Dunkelheit bemerkt er gar nicht im Vorübergehen
, habe ich geschrieben. ER aber hat sie bemerkt und gibt es mir eindeutig zu verstehen. Das Zeichen ist schon zweimal gekommen! Es bleibt kein Zweifel!‹
    Ich bestürmte sie natürlich mit Fragen, aber sie verstummte plötzlich, und ihr fülliges Gesicht verzerrte sich vor Angst.
    ›O Gott, womöglich zürnt Er mir für meine Geschwätzigkeit! Und wenn das dritte Zeichen jetzt ausbleibt?‹
    Sie lief bestürzt davon und ließ mich mit meinem zehrenden Neid zurück. Mich in Neid zu verzehren – das ist alles, was mir in letzter Zeit bleibt.
    Wie beneidete ich Ophelia! Wie haßte ich sie! Wie gern wäre ich an ihrer Stelle gewesen!
    Doch ihre Stelle, das wußte ich nun, war das trübe Wasser an der Ustinski-Brücke, wo Unrat sich sammelte und im Schlamm fette Blutegel krochen.
     
    Gendsi klingelte vier Minuten vor fünf an der Tür. Ich lag auf dem Bett und blickte aus Langeweile auf das Zifferblatt der Uhr.
    |111| ›Man hat sie gefunden‹, sagte er, als ich öffnete.
    ›Wen?‹ fragte ich.
    ›Wen?‹ wunderte er sich. ›Ophelia.‹
    Ein Bekannter bei der Polizei hatte ihm von einem in der Jausa ertrunkenen Mädchen erzählt, und die Beschreibung paßte auf Ophelia. Gendsi war auch schon im Leichenschauhaus gewesen, doch zuverlässig identifizieren konnte er sie nicht, da er sie immer nur im Halbdunkel gesehen hatte, überdies hatte sich ihr Gesicht verändert.
    ›Ich bin zu Prospero gefahren, aber er war nicht zu Hause‹, sagte Gendsi. ›Sie sind die einzige Anwärterin, deren Anschrift ich wußte. Und das auch nur, weil ich Sie einmal nach Hause begleitet hatte. Kommen Sie mit, Colombina.‹
    Wir fuhren los.
     
    Ja, es war Ophelia, ohne jeden Zweifel. Der Wächter hatte das schmutziggraue Laken voller ekelhafter Flecke weggezogen, und ich sah das magere Körperchen, hingestreckt auf dem schmalen Zinktisch, und das spitze Gesichtchen mit dem erstarrten wohlbekannten Lächeln auf den blutleeren Lippen. Ophelia war völlig nackt; ihre dünnen Schlüsselbeine, die Rippen, die kantigen Hüftknochen markierten sich unter der bläulichen Haut; die Hände waren zu winzigen Fäusten geballt. Im ersten Moment erinnerte mich der Leichnam an ein gerupftes Küken.
    Wenn der Ewige Bräutigam mich auswählt, werde ich dann auch so daliegen – nackt, mit glasigen Augen, und ein betrunkener Wächter knotet mir eine Wachstuchnummer an den Fuß?
    Da bekam ich einen hysterischen Anfall.
    ›Sie wollte nicht sterben! Sie brauchte nicht zu sterben!‹ schrie ich und schluchzte aufs kläglichste an Gendsis Brust. |112| ›Sie war nicht mal eine richtige Anwärterin! ER konnte sie nicht auswählen!‹
    ›Wer ist ER?‹
    ›Der TOD.‹
    Für mich selbst überraschend, überhäufte ich Gendsi mit Vorwürfen.
    ›Warum haben Sie mich an diesen entsetzlichen Ort geführt? Es ist gelogen, daß Sie sie nicht identifizieren können! So sehr hat sie sich nicht verändert! Sie wollten mich nur quälen!‹
    Da sagte er leise, aber deutlich: ›Sie haben recht. Ich wollte, daß Sie sie so sehen.‹
    ›Aber … warum?‹
    Ich keuchte vor Empörung.
    ›Damit Sie zur Besinnung kommen. Damit Sie begreifen: Diesem Wahnsinn muß ein Ende gesetzt werden.‹ Gendsi nickte zu dem bläulichen Körper der Ertrunkenen hin. ›Genug gestorben. Dazu bin ich in Ihre Gesellschaft eingetreten.‹
    ›Dann wollen Sie sich also gar nicht mit dem TOD vermählen?‹ fragte ich stumpf.
    ›Vor vielen Jahren habe ich diese Rolle schon einmal gespielt‹, antwortete er mit finsterer Miene. ›Ich glaubte, ein schönes Mädchen zu freien, und freite den Tod. Dieses eine Mal genügt mir.‹
    Ich verstand diese Allegorie nicht. Und überhaupt begriff ich gar nichts mehr.
    ›Aber Sie haben doch mit dem Revolver geschossen!‹ erinnerte ich ihn. ›Zweimal sogar! Prospero hat es erzählt. Oder war das ein Trick?‹
    Er zuckte ein wenig verlegen mit der Schulter.
    ›So was Ähnliches. Schauen Sie, Mademoiselle Colombina, |113| ich bin in gewissem Sinne ein seltenes Phänomen: Ich gewinne bei jeder Art Glücksspiel. Keine Ahnung, wie diese Anomalie zu erklären ist, aber ich bin seit langem an sie gewöhnt und benutze sie manchmal zu praktischen Zwecken, wie zum Beispiel, als ich Herrn Prospero kennenlernte. Selbst wenn in der Trommel vier Patronen gesteckt hätten,

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