Magier von Moskau
zog unelegant die Nase hoch.
Und dachte wehmütig: Auch er findet Ophelia interessanter als mich.
Ein Schiffer hat sie gefunden
»Ein Schiffer hat sie gefunden. Ihr Kleid hatte sich an einem Pfeiler der Ustinski-Brücke verfangen, da, wo die Jausa in die Moskwa mündet. Sie schaukelte in dem trübgrünen |108| Wasser. Ihre Haare trieben wie Wasserpflanzen in der Strömung. Das hat mir Gendsi erzählt, der alles weiß und überall Zutritt hat. Er hat sogar bei der Polizei seine Informanten.
Zuerst war sie verschwunden, und Prospero rief uns zwei Tage lang nicht zusammen, weil ohne sie keine Seancen möglich sind.
In diesen zwei Tagen wußte ich nichts mit mir anzufangen. Einmal ging ich hinunter in den Laden, kaufte zweihundert Gramm Tee und zwei Baumkuchen zu vier Kopeken. Von dem einen biß ich ein Stück ab, den anderen rührte ich gar nicht an. Ich ging in eine Speisewirtschaft, um Mittag zu essen, las die Karte und bestellte lediglich Selterswasser. Die übrige Zeit saß ich nur auf dem Bett und guckte bald auf die Wand, bald zum Fenster hinaus. Es gab mich nicht. Ich mochte nicht essen und nicht schlafen.
Die Puppe war gleichsam in einem staubigen Karton abgelegt worden, da lag sie nun und glotzte mit ihren Glasaugen die Decke an. Zum Ausgehen hatte ich keine Lust und keinen Anlaß. Ich wollte Gedichte schreiben – es wurde nichts. Nun wußte ich, ohne unsere Zusammenkünfte, ohne Prospero konnte ich nicht mehr sein. Ich konnte nicht.
Pierrot besuchte mich, faselte irgendwas, ich hörte nicht hin. Er nahm meine Hand, drückte und küßte sie. Es kitzelte, dann war es mir über, und ich zog die Hand weg.
Gestern schaute auf einmal die Löwin der Ekstase vorbei und saß lange bei mir. Dieser Besuch schmeichelte mir. Sie redet gern, gestikuliert dabei schwungvoll und raucht pausenlos Papirossy. Mit ihr ist es nicht langweilig, doch sie ist unglücklich, obwohl sie versichert, ein erfülltes Leben zu leben. Sie hält sich für eine große Männerkennerin. Sie meint, Prospero sei wahrscheinlich einmal von einer Frau schwer |109| beleidigt oder gedemütigt worden, daher fürchte er Frauen, lasse sie nicht an sich heran, sondern ziehe es vor, sie zu quälen. Nach diesen Worten sah sie mich erwartungsvoll an, ob ich nicht ihr etwas beichten wolle. Ich wollte nicht. Da erzählte die Löwin von sich. Sie habe zwei Liebhaber, beide seien berühmt (sie sagte bedeutungsvoll »sehr berühmt«) – ein Chefredakteur und ein Großer Dichter. Beide beteten sie an, doch sie spiele mit ihnen wie mit Schoßhündchen. ›Das Geheimnis, wie Männer zu nehmen sind, ist einfach‹, belehrte mich die Löwin. ›Wenn man jedoch dieses Geheimnis nicht kennt, werden sie gefährlich und unberechenbar. Aber eigentlich sind sie primitiv und leicht zu lenken. Wie alt sie auch sein mögen, welch hohe Stellung sie auch bekleiden, in der Tiefe ihres Herzens bleiben sie kleine Jungs, Halbwüchsige. Und behandeln muß man sie wie einjährige Bulldoggen – den Dummchen sind schon Reißzähne gewachsen, also reizt man sie nicht, braucht sie aber auch nicht zu fürchten. Ein bißchen schmeicheln, ein bißchen auf die Folter spannen, von Zeit zu Zeit hinterm Ohr krabbeln, auf den Hinterpfoten nach dem Knochen schnappen lassen, aber keinesfalls zu lange hinhalten, sonst richtet sich ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Knochen, der leichter zu haben ist. Wenn Sie so handeln, mein Kind, werden Sie sehen, daß der Mann ein liebenwertes Geschöpf ist: bescheiden, nützlich und sehr, sehr dankbar.‹
In diesem Sinne redete die Löwin lange auf mich ein, aber ich spürte, daß sie nicht deswegen gekommen war. Schließlich faßte sie sich ein Herz und sagte etwas, was mich vor Erregung zittern ließ.
Hier ihre Worte in genauer Wiedergabe:
›Ich muß mich mit jemandem aussprechen‹, murmelte sie, ›mit jemandem von uns, mit einer Frau. Aber nicht mit |110| Ophelia. Ich weiß auch gar nicht, wo sie steckt. Also kommen nur Sie in Betracht, liebe Colombina … Natürlich müßte ich eigentlich meine Zunge im Zaum halten, aber es drängt mich zu sehr … Ich habe Ihnen hier allerhand Unsinn von meinen Liebhabern erzählt. Das sind Kinkerlitzchen, klägliche Surrogate, die das Loch in der Seele wenigstens ein bißchen schließen helfen. Ich brauche sie nicht mehr.‹ Sie senkte die Stimme und griff mit ihrer pummeligen, ringgeschmückten Hand nach der kleinen Perlmuttuhr, die sie um den Hals hängen hatte. ›Ich glaube, ich bin
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