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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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wäre das leere fünfte Nest mir zugefallen. Doch so gab es nur eine Todeschance gegen vier Lebenschancen – einfach lächerlich!‹
    Ich wußte nicht, was ich von dieser absonderlichen Erklärung halten sollte. War das gewöhnliche Prahlerei, oder hatte er tatsächlich ein besonderes Verhältnis zum Schicksal?
    Gendsi sprach weiter.
    ›Vergessen Sie nie, was Sie hier gesehen haben. Und machen Sie um Himmels willen keine Dummheiten, was für wundersame Zeichen Ihnen auch erscheinen mögen. Sie brauchen nicht mehr lange zu warten, das Ganze entscheidet sich schon morgen. Ich werde diesen scheußlichen Tempel der Leichenanbetung niederreißen. Ja, was ich Ihnen noch nicht gesagt habe – ein Dienstmann hat mir eine Nachricht von Prospero gebracht. Sicherlich bekommen Sie heute auch eine. Die Zusammenkünfte werden wieder aufgenommen. Wir werden morgen wie üblich um neun erwartet.‹
    Sofort vergaß ich Gendsi und seine zerstörerischen Pläne und sogar die kalte Leichenkammer, in der es nach den Miasmen der Verwesung stank.
    Morgen! Morgen abend werde ich ihn wiedersehen.
    Ich werde aufwachen und wieder anfangen zu leben.«
     
    |114| Er war zauberhaft schön
     
    »Heute stelle ich euch die beste meiner Erfindungen vor!« verkündete der Doge, als er schnellen Schritts den halbdunklen Salon betrat.
    Er dünkte Colombina zauberhaft schön in seiner himbeerrosa Samtbluse mit dem Batistjabot, dem schief sitzenden Barett und den kurzen Wildlederstiefeln. Der reinste Mephistopheles! An seinem Gürtel funkelte, die Ähnlichkeit vertiefend, ein mit Edelsteinen besetzter Dolch.
    Hinter ihm wehte ein Luftzug herein, der die Kerzen auf dem Tisch flackern und erlöschen ließ. Es blieb nur der Feuerschein des Kohlebeckens.
    Der Doge zog den Dolch aus der Scheide, berührte eine Kerze nach der anderen, und – Wunder über Wunder – sie brannten wieder!
    Dann ließ Prospero den Blick über die Versammelten gleiten, und die Augen eines jeden erstrahlten, so wie vorher die Kerzen. Colombina spürte die schon gewohnte Wirkung dieses magnetischen Blicks. Es überlief sie siedendheiß, das Atmen wurde schwer, und sie erwachte endlich aus der schläfrigen Starre, die ganze drei Tage gewährt hatte – all die Zeit ohne abendliche Zusammenkünfte.
    Die märchenhafteste, die wundersamste aller Empfindungen – der Vorgeschmack eines Wunders – erfaßte Colombina und wohl auch alle anderen.
    Der Magier stellte sich vor den Tisch, und erst jetzt bemerkten die Anwesenden, daß alle Stühle außer dem des Vorsitzenden verschwunden waren. Mitten auf der polierten Tischplatte erhob sich etwas Rundes, das aussah wie eine große Hochzeitstorte, mit einem gemusterten Tuch bedeckt.
    »Früher war ich Ingenieur und, wie man sagt, kein schlechter«, |115| erklärte der Doge und lächelte listig in den grauen Schnurrbart. »Aber ich versichere euch, keine meiner Erfindungen kann es an genialer Einfachheit mit dieser aufnehmen. Ophelia ist mit dem Ewigen Bräutigam vereint. Wir freuen uns für sie, aber wer wird uns jetzt helfen, die Verbindung mit dem Jenseits herzustellen? Darüber habe ich mir lange den Kopf zerbrochen, und mir ist etwas eingefallen. Was signalisiert dem Menschen am besten und eindeutigsten, wie das Schicksal ihm gesonnen ist?«
    Er wartete auf Antwort, aber die elf Anwärter schwiegen.
    »Na!« rief Prospero aufmunternd. »Die Lösung hat mir einer von euch eingegeben – Prinz Gendsi.«
    Alle sahen Gendsi an. Der blickte unter gesenkten Brauen hervor auf den Dogen, als erwarte er einen bösen Streich.
    »Der blinde Zufall«, verkündete Prospero feierlich. »Der größte Seher ist der blinde Zufall! Das ist der Wille des Höchsten Richters. Die spiritistische Seance ist eine überflüssige Affektation, ein Vergnügen für gelangweilte, hysterische Dämchen. Bei uns wird alles einfach, klar und stumm sein.«
    Bei diesen Worten zog er das Tuch vom Tisch. Da war etwas Buntes, Radförmiges, auf dem Hunderte blendendheller Sternchen glitzerten. Ein Roulette! Ein gewöhnliches Roulette, wie es in jedem Kasino zu sehen ist.
    Als dann aber die Anwärter den Tisch umdrängten und das Roulette in Augenschein nahmen, sahen sie an dem Glücksrad etwas Außergewöhnliches: In dem Fach, wo
double zero
sein mußte, war ein weißer Totenschädel mit gekreuzten Knochen.
    »Die Erfindung heißt ›Todesrad‹. Jetzt kann jeder seine Beziehung zur Ewigen Braut selbst herausfinden«, sagte Prospero. »Und das hier ist das neue Medium.« Er

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