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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Ich würde viel mehr meiner Schutzbefohlenen gerettet haben, wenn nur …«
    »Was ›nur‹?« drängte ihn der Stotterer, der aufgestanden war. Ich glaube, das Gehörte erschütterte ihn nicht minder als mich. Jedenfalls hörte er dem Dogen sehr aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Der aber zögerte noch, und sein Gesicht wurde zusehends immer blasser. Wahrscheinlich überlegte er, ob er sich seinem Gesprächspartner rückhaltlos anvertrauen solle.
    Endlich hatte er sich entschlossen: »Wenn nur … Aber setzen |135| Sie sich doch!« Der Stotterer schüttelte ungeduldig den Kopf, und der Doge blickte sich nach allen Seiten um. Ich sah, daß seine Züge von Angst verzerrt waren. »Ich habe eines nicht bedacht … Der TOD existiert wirklich!«
    »Eine zweifellos wichtige Entdeckung«, bemerkte der Stotterer zurückhaltend.
    »Spotten Sie nicht! Sie wissen genau, was ich meine. Wenn nicht, sind Sie nicht so klug, wie es den Anschein hat. Der TOD existiert nicht nur als Ende des physischen Daseins, sondern auch als beseelte Substanz, als böse Kraft, die meine Herausforderung angenommen hat und zum Kampf um die Seelen meiner Schüler gegen mich angetreten ist.«
    »Hören Sie, Blagowolski, das können Sie der Löwin der Ekstase erzählen«, sagte der Stotterer stirnrunzelnd.
    Der Doge lächelte bitter.
    »Oh, ich war genauso ein Skeptiker wie Sie. Noch vor kurzem.« Er beugte sich weit vor und packte den Stotterer bei der Hand. Dabei sah er beinahe wahnsinnig aus, und seine Stimme senkte sich zu einem lauten Flüstern. »Von den Zeichen haben Sie doch gehört? Diese zusätzliche Komplikation habe ich mir seinerzeit einfallen lassen, damit die Anwärter das Geheul der armen Ophelia nicht gar zu ernst nahmen. Die Idee war nicht mal schlecht: daß es nämlich mit der Anrufung der Geister nicht getan sei, sondern daß die Anwärter noch einen mystischen Ruf des TODES erhalten müßten. Und sie erhielten ihn!« Das schrie der Doge so laut, daß ich vor Überraschung mit der Stirn gegen die Tür prallte. Der Moment war gottlob so angespannt, daß die beiden den dumpfen Laut überhörten.
    Der Doge ratterte hektisch: »Sie alle, alle erhielten den Ruf! Ophelia brauchte nur den Namen des nächsten Auserwählten zu nennen, schon bekam dieser das Zeichen!«
    |136| »Unsinn«, bemerkte der Stotterer. »Das kann nicht sein.«
    »Unsinn?« Der Doge lachte unangenehm, seine entzündeten Augen blitzten. »Der erste war der Rabe, ein stiller Säufer, Photograph seines Zeichens. Am Abend benannte Ophelia ihn als den Auserwählten, und in der Nacht sprang er aus dem Fenster. Ich kaufte dem Polizisten das Abschiedsgedicht des Raben ab, darin ist ziemlich verworren von einer Vision die Rede, die den Ruf aus dem Jenseits bekräftigt. Schreckliche Verse, geradezu ungeheuerlich, aber darum geht’s nicht. Was für eine Vision? Wer soll das jetzt beantworten?«
    »Was kann ihm sein trunkenes Hirn nicht alles vorgegaukelt haben«, widersprach der Stotterer bedächtig. »Nach der spiritistischen Eröffnung wird Ihr Photograph sein Auserwähltsein tüchtig begossen haben.«
    »Vielleicht, das bestreite ich nicht!« Der Doge schüttelte den Kopf. »Ich selber habe dieser Zeile zunächst keine Bedeutung beigemessen. In dem Brief stand noch eine Nachschrift für mich: ›Für P. Kein Zweifel! Ich bin glücklich. Leben Sie wohl und danke!‹ Können Sie sich vorstellen, mit was für Gefühlen ich das gelesen habe? Aber hören Sie, wie es weiterging! Ein paar Tage später sagte Ophelia mit der Stimme des Raben: ›Jetzt ist derjenige an der Reihe, zu dem der Sendbote des TODES kommt, ganz in Weiß. Erwartet ihn!‹ Ich war ganz ruhig – ich dachte, was zum Teufel kann das schon für ein Sendbote sein. Wo soll der herkommen? Aber in derselben Nacht, hören Sie –
in derselben Nacht
«, der Maestro ging wieder vom Schreien zum Zischen über, »hatten gleich zwei der Anwärter, ein Mann und eine Frau, eine Vision: Im Traum erschien ihnen jemand ganz in Weiß und rief sie auf, sich mit dem TOD zu vereinigen! Er war Student, ein Mensch von finsterem, hypochondrischem Wesen, |137| nannte sich Lykanthrop. Sie dagegen war schön, jung und rein – ich hatte gedacht, die Selbstmordgedanken wären bei ihr nur eine flüchtige Grille! Sagen Sie, Sie ungläubiger Thomas, kommt es oft vor, daß zwei ganz verschiedene Menschen zur selben Zeit denselben Traum haben?«
    »Ja. Wenn die Erwähnung des Sendboten ganz in Weiß sie stark beeindruckt hat …«
    »Zu

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