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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ich sah, daß sie ihrem Ende entgegenging, unabänderlich. Ich sah es – und konnte nichts tun. Kurz zuvor hatte sie mir im Vertrauen mitgeteilt, daß der »Zarewitsch Tod« ihr geheime Zeichen sende und daß sie die Qual des Lebens bald hinter sich habe. Das hatte sie wohl nicht nur mir mitgeteilt, doch ihre Umgebung hielt das Bekenntnis für eine Frucht ihrer unbändigen Phantasie.
    Leider kann Phantasie Phantome gebären: Der hartherzige Zarewitsch hat Loreley von uns weggeholt. Ehe die Löwin der Ekstase aus dem Leben in die Literaturgeschichte übersiedelte, schrieb sie, wie bei den »Liebhabern des Todes« üblich, ein Abschiedsgedicht. Wie wenig ist doch in diesen verworrenen, ungeduldigen,
endgültigen
Zeilen von der blumigen Sinnenfreude, welche die Leserinnen so bezauberte!
    Genug, es wird nun Zeit, man ruft mich schon.
    Wir sehen uns dann später – stört mich nicht.
    Ich muß am Ende noch an etwas denken.
    Doch was? Doch was?
    Es fällt mir nicht mehr ein.
    Gedanken sind verwirrt. Schluß, es wird Zeit.
    Was wird dort sein hinter dem letzten Kreise,
    Ich will es sehn.
    Voran!
    Komm, Todesprinz,
    Komm zu mir in dem blutroten Gewande,
    Reich mir die Hand und führe mich ans Licht,
    Wo ich dann steh mit ausgestreckten Armen,
    So wie ein Engel, wie das Schicksal, spiegel
    |144| Ich so mich selbst.
    Es bleibt kein andrer Weg.
    Was für Abschiedsworte! »Es bleibt kein andrer Weg.« Ist Ihnen nicht bange, meine Herrschaften? Mir sehr.
    »Moskauer Kurier« vom 7. (20.) September 1900. S. 1

2.
Aus dem Tagebuch von Colombina
    Rebusse
     
    »Trotz allem habe ich unheimliches Glück, denn ich werde in dem Grenzjahr zwischen dem alten und dem neuen Jahrhundert aus dem Leben gehen. Ich habe gleichsam einen Blick durch den Türspalt geworfen und nichts so Interessantes gesehen, daß ich die Tür hätte öffnen mögen, um hineinzugehen. Ich bleibe auf der Schwelle und werde flügelschlagend davonfliegen. Was kümmern mich eure Kinematographen, selbstfahrenden Equipagen und Tuniken à la grecque (für mich eine ungeheuerliche Geschmacklosigkeit). Lebt doch in eurem zwanzigsten Jahrhundert, aber ohne mich. Davongehen ohne einen Blick zurück – das ist schön.
    Apropos Schönheit. In unserem Klub reden sie viel darüber und erheben sie sogar zum absoluten Maßstab. Ich bin eigentlich der gleichen Meinung, aber dann dachte ich auf einmal: Wer ist schöner, Prospero oder Gendsi? Sie sind natürlich sehr verschieden, und jeder wirkt auf seine Weise. Neun von zehn Frauen werden wohl sagen, Gendsi sei »interessanter« und außerdem erheblich jünger (obwohl er auch |145| schon alt ist, um die Vierzig). Ich jedoch ziehe ohne Wenn und Aber Prospero vor, denn er ist … bedeutender. Bin ich mit Gendsi zusammen, so fühle ich mich ruhig, manchmal auch fröhlich, aber das ›Beben ohne Ende‹ erfaßt mich nur in Gegenwart des Dogen. Er verkörpert Geheimnis und Zauberei, und das wiegt schwerer als äußere Schönheit.
    Gendsi hat natürlich auch viel Rätselhaftes. Binnen weniger Tage hat er dreimal mit dem Tod Roulette gespielt (die ersten beiden Male mit Prosperos Revolvertrommel) und ist am Leben geblieben! Wirklich erstaunlich, daß ein Krankenwagen gerade in dem Moment den Boulevard entlang fuhr, als Gendsi, der den vergifteten Wein getrunken, die Besinnung verlor!
    Offensichtlich besitzt dieser Mann sehr viel Lebenskraft und verausgabt sie nur sparsam.
    Gestern erklärte er: ›Ich komme nicht dahinter, Colombina, weshalb Sie die schöne Welt dermaßen satt haben. Sie sind jung, gesund, rotwangig und von Natur aus lebensfroh, wenn Sie sich auch jenseitig geben.‹
    Ich war sehr entrüstet. ›Gesund, rotwangig‹ – das ist alles? Andererseits, wie man so sagt, der Spiegel kann nichts dafür. Er hat ja recht: Mir fehlt das Verfeinerte und Unheilschwangere. Trotzdem war es höchst taktlos von ihm, so zu reden.
    ›Und Sie?‹ parierte ich. ›Sie waren doch so empört über den Dogen und haben sogar gedroht, unsern ganzen Klub auseinanderzujagen, dabei kommen Sie dauernd her und haben sogar versucht, sich zu vergiften.‹
    Er antwortete mit ernster Miene: ›Ich liebe alles Geheimnisvolle. Hier gibt es, meine liebe Colombina, eine Menge Rätsel, und von Rätseln bekomme ich eine Art Jucken, das sich erst wieder legt, wenn ich die Hintergründe durchschaut |146| habe.‹ Und plötzlich machte er mir einen Vorschlag. ›Wissen Sie was? Lassen Sie uns das Rebus zusammen lösen. Soviel ich weiß, haben Sie ohnehin weiter

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