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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Straftat erwiesen wäre. Überdies hatte ich Grund zu der Hoffnung, zwei, vielleicht gar drei der weniger fanatischen »Liebhaber« überzeugen zu können, zu Gunsten der Anklage auszusagen, wenn es denn zu einer Gerichtsverhandlung käme.
    Aber jetzt will ich Ihnen schildern, wie es tatsächlich ausging.
    Es gelang mir, die Tür vollkommen lautlos zu öffnen, und da es im Eßzimmer stockdunkel war, konnte ich nicht nur hören, sondern auch sehen, was im Kabinett vorging, ohne Risiko, entdeckt zu werden.
    Der Maître saß in seinem Sessel am Schreibtisch, mit feierlicher, ja, majestätischer Miene. Auf der polierten Tischplatte stand ein blitzender Kristallpokal mit einer granatapfelroten Flüssigkeit.
    Der Stotterer stand vor ihm, so daß die Szene etwas an das Gemälde »Peter verhört den Zarewitsch Alexej« von Gay 2 erinnerte. Ich liebe dieses Bild von Kind an, es hat mich immer durch seine verborgene Sinnlichkeit beeindruckt. Wie oft habe ich mich hineingedacht in den gefangenen Zarewitsch: Ich stehe vor dem dräuenden Peter, bin gänzlich in seiner Gewalt, und mein Herz krampft sich in einer schaurigen Empfindung zusammen, dann mischt sich das Bewußtsein der absoluten Schutzlosigkeit mit der Angst vor der Strafe und der Hoffnung auf väterliche Barmherzigkeit! Allerdings sah der Stotterer im Gegensatz zum Zarewitsch den vor ihm Sitzenden ohne jede Angst an. Ich war unwillkürlich fasziniert von der Kaltblütigkeit des Mannes, der sich in ein paar Minuten vom Leben verabschieden sollte.
    |128| Beide schwiegen, und das Schweigen wollte kein Ende nehmen. Der Stotterer blickte dem Dogen durchdringend in die Augen, und der wurde sichtlich verlegen. Er ergriff als erster das Wort.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte er mit einer gewissen Unsicherheit, die ihm unter gewöhnlichen Umständen nicht eigen war, »daß das Los ausgerechnet Sie getroffen hat.«
    »Warum denn?« fragte der Stotterer mit gelassener Stimme. »Etwas Besseres kann einem doch nicht passieren, oder?«
    Noch mehr aus der Fassung gebracht, sagte der Doge eilig: »Ja, selbstverständlich. Ich bin sicher, daß alle anderen Anwärter – oder fast alle – glücklich wären, an Ihrer Stelle zu sein … Ich meinte nur, daß es mir leid tut, mich so schnell von Ihnen zu trennen. Sie interessieren mich, und wir hatten noch keine Gelegenheit, unter vier Augen zu reden.«
    »Nun denn«, sagte der Stotterer noch immer gelassen. »Reden wir doch jetzt unter vier Augen. Ich hab’s nicht eilig. Und Sie?«
    Der Doge schien sich über diese Worte zu freuen. »Ausgezeichnet, reden wir. Ich weiß ja eigentlich gar nicht, weshalb Sie, ein reifer und allem Anschein nach unabhängiger Mann, so darauf erpicht waren, einer meiner Schüler zu werden. Je länger ich darüber nachdachte, desto befremdlicher kam es mir vor. Sie sind doch Ihrem Wesen nach ein Einzelgänger und nicht auf andere angewiesen. Wenn Sie triftige Gründe haben, den Tod zu suchen, wären Sie doch ohne all diese Zeremonien ausgekommen.«
    »Aber die Zeremonien, die Sie ersonnen haben, sind doch ganz spannend. Und ich, mein Herr, bin ein neugieriger Mensch.«
    »Tja«, sagte der Doge nachdenklich und sah zu seinem Gesprächspartner hoch. »Und ein interessanter.«
    |129| »Oh, nicht mehr als Sie, Herr Blagowolski«, sagte der Stotterer plötzlich.
    Später wird Ihnen klar werden, warum ich Ihnen den richtigen Namen des Dogen nicht vorenthalte (übrigens wird er im Klub »Prospero« genannt). Ich erfuhr ihn erst jetzt aus dem Mund des Stotterers.
    Der Doge zuckte die Achseln. »Aha, Sie haben Erkundigungen eingezogen und meinen richtigen Namen herausgefunden. Wozu war Ihnen das wichtig?«
    »Ich mußte möglichst viel über Sie in Erfahrung bringen. Und das ist mir gelungen. Moskau ist meine Stadt. Ich habe hier viele Bekannte, noch dazu an den überraschendsten Stellen.«
    »Was haben Ihre Bekannten an den überraschendsten Stellen denn noch über mich herausgefunden?« fragte der Doge ironisch, doch es war zu sehen, daß er sich nicht eben wohl in seiner Haut fühlte.
    »Allerlei. Beispielsweise, daß Sie während Ihrer siebzehnjährigen Haftstrafe in der Festung Schlüsselburg dreimal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Das erstemal 1879. Da sind Sie aus Protest in den Hungerstreik getreten, um Ihren Kameraden, denen die Gefängnisleitung das Recht auf Spaziergang entzogen hatte, das Dasein zu erleichtern. Sie waren zu dritt. Am einundzwanzigsten Tag haben Sie sich als einziger bereit

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