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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Sofa zeigte (der Körper war sorgfältig ausgeführt, der Kopf fehlte noch), und an der gegenüberliegenden Wand stand eben jenes Sofa, tatsächlich mit einer roten Drapierung bedeckt, und darauf lag tatsächlich ein splitternacktes Mädchen. Sie hatte eine Stupsnase, Sommersprossen und strohgelbe Haare; mit |149| träger Neugier betrachtete sie die Besucher und machte nicht den leisesten Versuch, sich zu bedecken.
    »Das ist Daschka«, sagte der Künstler und nickte zu dem Modell hin. »Bleib liegen, Daschka, beweg dich nicht, ich hab dich mühsam so hingelegt, wie ich’s brauche. Die Leute fragen nach dem Dummkopf von nebenan, der sich aufgehängt hat. Sie gehen gleich wieder.«
    »Aah«, Daschka zog die Nase hoch, »der immer gleich mit der Faust gegen die Wand geschlagen hat, damit wir uns nicht so laut streiten?«
    »Ja, der.«
    Nun zeigte sich, daß Prinz Gendsi höchst altmodische philisterhafte Vorurteile hatte. Angesichts des Aktmodells geriet er in Verlegenheit, drehte den Kopf um hundertachtzig Grad und stotterte mehr als sonst. Colombina lächelte nachsichtig: Prospero an seiner Stelle hätte nicht mit der Wimper gezuckt.
    Der Japaner freilich genierte sich kein bißchen. Er starrte das Mädchen an, schnalzte genießerisch mit der Zunge und erklärte: »Ssönes Fläulein. Vollsslank und dicke Beine.«
    »Masa!« rief Gendsi errötend. »Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nicht glotzen! Wir sind hier nicht in Japan.«
    Aber Daschka war von Masas Worten sichtlich geschmeichelt.
    »Was möchten Sie eigentlich wissen?« fragte der Maler und musterte seine Besucher mit verengten Augen. »Ich habe ihn ja wirklich kaum gekannt und war nie bei ihm. Er war überhaupt ein Griesgram. Keine Gesellschaften, keine Trinkgelage, keine Frauenstimmen. Ein richtiger Einsiedler.«
    »Der Ärmste war schon wirklich stockhäßlich, das ganze Gesicht voller Pickel«, ließ sich Daschka vernehmen, kratzte sich den Ellbogen und sah zu Masa hin. »Aber am weiblichen |150| Geschlecht war er sogar sehr interessiert. Wenn wir uns manchmal vorm Haus trafen, hat er mich nur so betatscht mit den Augen. Er hätte mehr Schneid haben müssen, dann hätte man ihn schon gemocht. Die Pickel, das kam vom Alleinsein. Er hatte schöne Augen, traurig und hellblau wie Kornblumen.«
    »Halt den Mund, Dummchen«, fuhr Stachowitsch sie an. »Wenn man dich so hört, sind alle Männer ganz scharf auf dich. Aber sie hat recht: Er war schüchtern und ließ sich jedes Wort aus der Nase ziehen. Und sehr einsam, ruhelos. Abends hat er dauernd vor sich hin gebrabbelt. Irgendwie rhythmisch, Gedichte wohl. Mitunter hat er gesungen, ziemlich unmusikalisch, meistens ukrainische Lieder. Die Wände sind hier aus Brettern, da hört man jeden Ton.«
    Die Wände des Zimmers waren vollgehängt mit Skizzen und Entwürfen, die zumeist einen Frauenkörper in verschiedenen Stellungen und Perspektiven darstellten, und es bedurfte keiner großen Beobachtungsgabe, um zu bemerken, daß es stets der Körper von Daschka war.
    »Sagen Sie«, fragte Colombina, »warum zeichnen Sie immer wieder dieselbe Frau? Ist das Ihr Stil? Ich habe gelesen, daß es in Europa jetzt Künstler gibt, die immer nur ein Motiv malen: eine Tasse, eine Blume in der Vase oder Lichtreflexe auf Glas, um Vollkommenheit zu erreichen.«
    »Von wegen Vollkommenheit!« Stachowitsch musterte das wißbegierige Fräulein. »Wo soll ich das Geld für andere Modelle hernehmen? Zum Beispiel Sie. Sie würden doch wohl nicht aus Liebe zur Kunst für mich posieren?«
    Colombina hatte das Gefühl, daß sein schmaläugiger Blick ihr unter die Jacke drang, und bekam eine Gänsehaut.
    »Sie haben eine schöne Silhouette. Die Hüftlinie ist einfach |151| hinreißend. Die Brüste sind sicherlich birnenförmig, ein bißchen asymmetrisch, mit großen Areolas, stimmt’s?«
    Mascha Mironowa wäre bei diesen Worten sicherlich erstarrt und puterrrot angelaufen. Colombina jedoch zuckte nicht mit der Wimper und lächelte sogar.
    »E-Erlauben Sie mal, mein Herr, was n-nehmen Sie sich heraus!« rief Gendsi entsetzt und war sichtlich bereit, die Ehre der Dame zu verteidigen und den Beleidiger in Stücke zu reißen.
    Aber Colombina bewahrte den Maler vor dem unvermeidlichen Duell, sie sagte mit unerschütterlicher Miene: »Ich weiß nicht, was Areolas sind, doch ich versichere Ihnen, meine Brüste sind vollkommen symmetrisch. Aber birnenförmig sind sie wirklich.«
    Eine kurze Pause trat ein. Der Maler musterte die Taille des

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