Magier von Moskau
mutigen Mädchens, Gendsi wischte sich die Stirn mit einem Batisttüchlein, Masa trat zu dem Aktmodell und reichte ihr ein in grünes Papier gewickeltes Bonbon.
»Merci«, sagte Daschka.
Colombina stellte sich vor, wie Stachowitsch, zu Weltruhm gelangt, mit einer Ausstellung nach Irkutsk kommt. Sein Hauptwerk ist das Gemälde »Die verführte Colombina«. Das gäbe einen Skandal! Es war eine Überlegung wert.
Aber der Maler sah nicht mehr sie an, sondern den Japaner.
»Welch eindrucksvolles Gesicht!« rief er und rieb sich erregt die Hände. »Man sieht es nicht sofort! Dieser Glanz in den Augen, diese Falten! Dshingis Chan! Tamerlan! Hören Sie, mein Herr, ich muß Sie unbedingt porträtieren!«
Colombina gab es einen Stich: Also war nur ihre Silhouette interessant, dieser schnaufende Asiat aber erinnerte ihn an Tamerlan? Gendsi starrte ebenfalls verblüfft seinen Diener an, nur Masa war nicht im geringsten verwundert, er |152| wandte lediglich den Kopf, damit der Künstler auch sein flaches Profil würdigen konnte.
Gendsi zupfte den Maler am Ärmel.
»Herr Stachowitsch, wir sind nicht gekommen, um für Sie zu p-posieren. Der Hausmeister hat erzählt, Sie hätten in der Nacht des Selbstmords von nebenan ungewöhnliche Geräusche gehört. Könnten Sie uns die möglichst genau beschreiben?«
»Das vergißt man nicht so leicht! In der Nacht war scheußliches Wetter, draußen heulte der Wind, die Bäume knarrten, trotzdem war es zu hören.« Er kratzte sich den Hinterkopf und überlegte. »Also. Er kam vor Mitternacht nach Hause und schlug die Wohnungstür so heftig zu, wie er es noch nie getan hatte.«
»Genau!« warf Daschka ein. »Ich habe noch zu dir gesagt: Er ist besoffen. Jetzt wird er auch bald Mädchen mit nach Hause bringen. Weißt du noch?«
Gendsi warf verlegen einen Seitenblick auf Colombina, was diese sehr erheiterte. War er etwa um ihre Sittsamkeit besorgt? Es war auch so klar, daß Daschka nicht nur ihre Tage hier verbrachte, sondern auch ihre Nächte.
»Ja, genau das hast du gesagt«, bestätigte der Maler. »Wir gehen gewöhnlich spät schlafen. Ich arbeite, Daschka guckt sich Bilder in den Zeitschriften an und wartet, bis ich fertig bin. Der da hinter der Wand tappte umher, tigerte durchs Zimmer, murmelte was. Ein paarmal lachte er los, dann schluchzte er – war wohl nicht ganz bei sich. Dann, schon lange nach Mitternacht, ging es los. Ein Geheul – unheimlich, mit Unterbrechungen. So etwas hatte ich nie zuvor gehört. Ich dachte zuerst, er hätte einen streunenden Hund mitgebracht. Dann glaubte ich, er wäre übergeschnappt und heulte, doch solche Töne kann ein Mensch nicht hervorbringen. |153| Es klang urtümlich, dumpf, aber dabei artikuliert, als ob irgendein Wort immer wieder gesungen wurde. Und so ging es zwei, drei, vier Stunden hintereinander.«
»Iiim! Iiim«, heulte Daschka in tiefem Baß. »Stimmt’s, Sascha? Ganz unheimlich! Iiim!«
»Ja, genau!« Der Maler nickte. »Nur lauter und wirklich ganz unheimlich. Aber nicht iiim, sondern iiirb. Ganz dumpf. Bei uns geht’s manchmal auch laut zu, darum haben wir zuerst nichts gesagt. Aber als wir uns schlafen legten, schon gegen vier, war’s nicht mehr auszuhalten. Da hab ich mit der Faust gegen die Wand gehämmert und gerufen: ›He, Student, was ist das für ein Konzert?‹ Keine Antwort. So ging es bis zum Morgengrauen.«
»Wenn ich daran denke, überläuft es mich eiskalt«, klagte das Aktmodell dem neben ihr stehenden Masa. Er streichelte ihr beruhigend die nackte Schulter und ließ dann seine Hand dort liegen, wogegen Daschka nichts einzuwenden hatte.
»Das ist alles?« fragte Gendsi nachdenklich.
»Ja.« Stachowitsch zuckte die Achseln und beobachtete verwundert die Manöver des Japaners.
»D-Danke. Auf Wiedersehen. Gnädige Frau.«
Gendsi machte eine Verbeugung in Richtung Modell und eilte zum Ausgang. Colombina und Masa folgten geschwind.
»Warum haben Sie weiter nichts gefragt?« attackierte Colombina Gendsi, schon im Treppenhaus. »Es wurde doch grade erst interessant.«
»Das Interessanteste hat er uns mitgeteilt. Erstens«, antwortete Gendsi. »Wir hätten nichts Wesentliches mehr von ihm erfahren. Zweitens. Außerdem wäre es im nächsten Moment zum Skandal gekommen, weil ein gewisser Jemand sich allzu frech benommen hat. Drittens.«
Weiter redete er unverständliches Zeug, wahrscheinlich |154| auf japanisch, denn Masa verstand ihn bestens und ratterte irgendeine Antwort. Dem Ton nach versuchte er sich zu
Weitere Kostenlose Bücher