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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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komischen Namen. |157| Der klang ja noch schlimmer als Marja Mironowa. Kein Wunder, daß sich das Mädchen den Namen Ophelia gegeben hatte.
    Hier hatte das Orakel der »Liebhaber des Todes« gelebt, in einem blitzsauberen Haus mit vier Fenstern, bestickten Gardinen und Blumen auf den Fensterbänken; hinter dem Haus lag ein üppiger grüner Garten voller Apfelbäume, deren Zweige sich bogen unter der Last der rotgoldenen Früchte.
    Auf Gendsis Klopfen erschien eine Frau von Mitte vierzig, ganz in Schwarz.
    »Ihre Mutter«, sagte Gendsi halblaut, während die Frau zur Pforte kam. »Witwe eines Gouvernementsekretärs. Sie hat mit der Tochter allein gelebt.«
    Von nahem war zu sehen, daß sie ebenso helle und klare Augen hatte wie ihre Tochter, aber die Lider waren rot entzündet. Vom Weinen, dachte Colombina, und in ihrer Nase juckte es. Der armen Frau sollte mal einer erklären, daß das Vorgefallene kein Grund zum Kummer, sondern höchstes Glück sei. Sie würde es niemals glauben.
    »Guten Tag, Serafima Charitonjewna«, sagte Gendsi mit einer Verbeugung. »E-Entschuldigen Sie die Störung. Wir haben Alexandra Iwanowna gekannt …«
    Er stockte, wußte nicht, wie er sich vorstellen sollte. Doch wohl nicht als japanischer Prinz. Aber die Vorstellung erübrigte sich.
    Die Witwe schluchzte auf und öffnete die Pforte.
    »Sie haben meine Saschenka gekannt? Also hatte sie doch Freunde? Vielen Dank, daß Sie mich besuchen, ich sitze hier mutterseelenallein, habe niemanden, mit dem ich ein paar Worte wechseln kann. Gut, daß ich den Samowar angemacht habe. Verwandte habe ich nicht, die Nachbarn kommen nicht |158| zu mir, schneiden mich. Na ja, Selbstmörderin, eine Schande für die ganze Straße.«
    Sie führte die Besucher in das kleine Eßzimmer. Die Stühle hatten bestickte Schonbezüge, an der Wand hing das Porträt eines Erzbischofs, in der Ecke tickte eine alte Uhr. Die Frau war wohl wirklich ausgehungert nach Menschen, denn sie redete drauflos und konnte kein Ende finden. Sie goß Tee in die Tassen, trank selbst aber nicht, strich nur mit dem Finger über den Rand der vollen Tasse.
    »Als Saschenka noch lebte, hatten wir viel Besuch. Alle wollten was von meiner Tochter: Der einen sollte sie aus Kerzenwachs wahrsagen, die zweite vom Kopfschmerz befreien, der dritten eine Verhexung lösen. Saschenka konnte alles. Sie wußte sogar, ob der ferne Bräutigam noch lebte oder nicht. Und alles um Gotteslohn, sie nahm keine Geschenke, sagte, das dürfe sie nicht.«
    »Eine solche Gabe hatte sie?« fragte Colombina mitfühlend. »Von klein auf?«
    »Nein, liebes Fräulein. Als sie klein war, hat sie geschwächelt, war dauernd krank. Gott der Herr hat mir Kinder nie für lange geschenkt, für ein-zwei Jährchen, wenn’s hoch kam, für vier, dann hat er sie wieder zu sich genommen. Sechs Kinder habe ich begraben, und Saschenka war die Jüngste. Ich konnte mich nicht genug freuen, daß sie sich auf Erden eingelebt hatte. Sie kränkelte, aber sie lebte – fünf Jahre, sechs, sieben. Jeder neue Tag war für mich ein Fest, und ich habe immerfort Gott gepriesen. Einmal zu Pfingsten, als Saschenka ins achte Jahr ging, hat sich ein wahres Gotteswunder zugetragen …«
    Serafima Charitonjewna verstummte, wischte eine Träne weg.
    »Ein Wundel? Was ist ein Gotteswundel?« fragte Masa, der |159| gespannt zugehört, darüber sogar das Teetrinken vergessen und den angebissenen Pfefferkuchen hingelegt hatte.
    »Ein Blitz schlug in den Baum ein, unter dem sie mit noch zwei Nachbarskindern vor dem Regen Schutz gesucht hatte. Augenzeugen erzählten: ein Knattern, blauer Qualm, die armen Jungs lagen tot da, und meine Saschenka war völlig erstarrt, und aus den Kuppen der gespreizten Finger sprühten Funken. Drei Tage lag sie ohne Bewußtsein, dann kam sie wieder zu sich. Ich saß an ihrem Bett, nahm die ganze Zeit nicht mal ein Mohnkörnchen zu mir, betete nur zur Beschützerin. Plötzlich schlug Saschenka die Augen auf, und sie waren hell und klar wie bei einem Engel Gottes. Und sie stand auf, als wär nichts gewesen. Nicht genug, daß sie lebte, sie war fürderhin nie wieder krank. Doch auch diese Gabe dünkte Gott den Herrn nicht genug, er beschloß in seiner Güte, Saschenka vor allen anderen auszuzeichnen. Ich war anfangs erschrocken, dann gewöhnte ich mich. Da wußte ich schon: Wenn ihre Augen durchsichtig wurden, war sie nicht bei sich, dann sah und hörte sie Dinge, die gewöhnlichen Sterblichen verborgen bleiben. In solchen Momenten

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