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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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rechtfertigen.
    Schon auf der Straße, war Colombina plötzlich wie vom Donner gerührt.
    »Die Stimme!« schrie sie. »Ophelia hat doch während der Seance eine Stimme erwähnt! Erinnern Sie sich? Als sie mit dem Geist von Abaddon sprach!«
    »Ich erinnere mich, schreien Sie nicht so, man dreht sich schon nach Ihnen um«, sagte Gendsi, der Wahrer der Schicklichkeit. »Haben Sie verstanden, was die Stimme heulte? Wozu sie Abaddon aufrief? Und so, daß kein Zweifel blieb – das Zeichen.«
    Sie versuchte, leise zu heulen: »Iiirb, iiirb.«
    Sie stellte sich die finstere Nacht vor, den Sturm vor den Fenstern, das flackernde Kerzenlicht, das weiße Blatt Papier mit den schrägen Zeilen. Ach du mein Gott!
    »Stiiirb! Stiiirb … Ach!«
    »Sehr richtig! Und nun stellen Sie sich vor: die schreckliche, u-unmenschliche Stimme, die immerzu wiederholt: ›Stirb, stirb, stirb‹, Stunde um Stunde. Und davor, während der Seance, war Abaddon zum Auserwählten erklärt worden. Worauf wartest du noch? Schreib dein Abschiedsgedicht und häng dich a-auf.«
    Colombina blieb stehen und kniff die Augen zu, um sich diesen Moment für immer einzuprägen. Den Moment, in dem sie das Wunderbare, das in ihr Leben Eingang gefunden hatte, als unverkennbare Tatsache erkannte. Es war eine Sache, vom Ewigen Bräutigam zu träumen, ohne völlig überzeugt zu sein, daß er wirklich existierte, und eine ganz andere, es zu wissen, mit Sicherheit zu
wissen.
    »Der TOD ist lebendig, er sieht und hört alles, er ist in |155| der Nähe!« flüsterte sie. »Und Prospero ist Sein Diener! Das ist die reine Wahrheit! Es ist keine Einbildung, keine Halluzination! Sogar die Nachbarn haben es gehört!«
    Das Pflaster schwankte unter ihren Füßen. Die verängstigte junge Frau kniff die Augen zu und hielt sich an Gendsi fest, obwohl sie wußte, daß sie sich hinterher ärgern würde über ihre Schwäche und ihre dumme Empfindlichkeit. Aber natürlich, der TOD ist ein denkendes und fühlendes Wesen, wie sollte es anders sein!
    Sie erholte sich rasch und lachte sogar. »Ist es nicht großartig, wieviel Seltsames uns umgibt?«
    Ein effektvoller Satz. Sie überprüfte seine Wirkung mit einem Blick auf Gendsi: Der hatte den Kopf zurückgelegt und die Wimpern halb gesenkt.
    Schade nur, daß er sie nicht anblickte.
    »Tja, es gibt viel Seltsames«, murmelte er. »›Stirb, stirb‹ – das macht Eindruck. Aber ein Umstand ist noch sonderbarer.«
    »Was denn?«
    »Ist es nicht sonderbar, daß die Stimme bis zum Morgengrauen geheult hat?«
    »Wieso?« fragte Colombina nach kurzem Nachdenken.
    »Abaddon hat sich spätestens um drei Uhr nachts aufgehängt. Als Stachowitsch gegen vier an die Wand hämmerte, bekam er keine Antwort. Außerdem hat die Obduktion ergeben, daß der Tod gegen d-drei eintrat. Wenn das Tier vom TOD geschickt war, um den Liebhaber zu rufen, wozu dann das Geheul bis zum Morgengrauen? Der Gerufene war doch schon eingetroffen.«
    »Vielleicht hat das Tier ihn beweint?« schlug Colombina unsicher vor.
    Gendsi sah sie vorwurfsvoll an.
    |156| »Vom Standpunkt des Tiers wäre nicht Weinen, sondern Freude angebracht gewesen. Außerdem: Der Mensch ist längst tot, aber das Tier quengelt noch immer: ›Stirb, stirb‹. Der TOD hat also einen ziemlich d-dummen Boten geschickt, finden Sie nicht?«
    Ja, geheimnisvoll und unverständlich ist vieles an dieser Geschichte, dachte Colombina. Und vor allem: Wozu haben Sie mich mitgenommen, mein Herr?
    Die hellblauen Augen des Prinzen sahen sie freundlich, aber ohne Hintergedanken an.
    Kurzum – ein Rebus.
     
    Tränenkristalle
von den Wimpern schüttelnd
     
    Von der Basmannaja-Straße fuhren sie lange vorbei an Krankenhäusern und Kasernen, dann wurden die Gebäude kleiner, Stein wurde von Holz abgelöst, und schließlich wurde es ganz dörflich. Im übrigen schaute Colombina kaum nach rechts und links, sie stand noch voll unter dem Eindruck der ihr zuteil gewordenen Offenbarung. Ihre Begleiter schwiegen ebenfalls.
    Aber da hielt die Droschke mitten auf einer staubigen ungepflasterten Straße mit ebenerdigen Häuschen. Auf der einen Seite war zwischen zwei Bretterzäunen das Steilufer eines kleines Flusses oder einer Schlucht zu sehen.
    »Wo sind wir hier?« fragte Colombina.
    »An der Jausa«, antwortete Gendsi, während er vom Trittbrett sprang. »Der Beschreibung nach ist das da das Haus, das wir s-suchen. Hier hat Ophelia gewohnt, das heißt, Alexandra Sinitschkina.«
    Colombina belächelte unwillkürlich den

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