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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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strich lange mit einem feuchten und kalten kleinen Pinsel über meinen Körper (später sah ich, daß er mich mit magischen Zeichen bemalt hatte, ich kriegte sie kaum wieder weg). Es kitzelte, und ich mußte ein paarmal kichern. Der physiologische Teil ging dann sehr schnell.
    Überhaupt habe ich den Eindruck, daß die ›Wonnen der |189| Wollust‹, von denen die russischen Schriftsteller so vielsagend nebulös schreiben, und
les plaisirs de la chair
3 , die erheblich detaillierter in der modernen französischen Literatur geschildert werden, nichts anderes als Phantasie sind, von der Menschheit erfunden, um die lästige Pflicht der Arterhaltung zu romantisieren. Das ist wie mit dem Kognak. Ich erinnere mich, wie ich mir als Kind ausmalte: Wenn ich groß bin, will ich auch Kognak trinken – das muß ja was Tolles sein, wenn Papa jeden Sonntag vor dem Essen ein Gläschen davon genießt. Einmal faßte ich mir ein Herz, schob den Stuhl an die Anrichte, stieg hinauf, ergriff die Karaffe und nahm einen Schluck … Ich glaube, in diesem Moment ist mir zum erstenmal klar geworden, wie verlogen Menschen sein können. Bis heute wird mir beim Anblick von Kognak ganz schlecht. Wie kann man nur solch beißende Scheußlichkeit trinken? Mit der physiologischen Liebe ist es wohl genauso. Ich bin überzeugt, daß für Papa nicht der Kognak angenehm war, sondern das Ritual: Sonntag, festliches Mahl, die blinkende Kristallkaraffe, die Vorfreude auf die abendliche Muße. Genauso ist es mit dem Liebesakt: Alles Vorausgehende ist so spannend, daß man die Sinnlosigkeit und Peinlichkeit der Handlung selbst entschuldigen kann, zumal sie nicht lange dauert.
    (Diesen Absatz werde ich nachher streichen müssen, nicht wegen der mutigen Gedanken, die sind ja gar nicht schlecht, sondern es klingt doch sehr kindlich. Auf die Physiologie will ich an anderer Stelle eingehen, ausführlicher und ohne Naivität.)
    Ich glaube, Prospero hat meine Enttäuschung bemerkt, denn beim Abschied war sein Blick nachdenklich und wohl sogar ein bißchen verwirrt. Aber seine letzten Worte waren |190| wunderschön: ›Geh und löse dich in der Nacht auf.‹ Ich empfand mich sofort als Chimäre, als nächtliche Sinnestäuschung. Meine Schritte auf dem dunklen Boulevard waren leicht und körperlos.
    Doch bin ich kein willenloses Spielzeug mehr in seinen Händen. Prosperos Macht über mich ist nicht mehr absolut, sein Zauber verblaßt.
    Nein, warum soll ich mir etwas vormachen? Es geht nicht um Zauber, sondern darum, daß Prospero mich nicht mehr so fasziniert wie zuvor. Ich verbringe ja mit Gendsi nicht nur deshalb so viel Zeit, weil ich nichts mit mir anzufangen wüßte. Er beschäftigt mich. Manchmal schweigen wir lange, wie zum Beispiel gestern im Kaffeehaus. Aber wir reden auch miteinander, zudem über ganz erstaunliche Themen. Gendsi ist ungeachtet seiner Wortkargheit ein fesselnder Gesprächspartner. Außerdem kann ich viel von ihm lernen.
    Was ich bei ihm nicht ausstehen kann, ist seine hohle männliche Galanterie. Heute habe ich wieder versucht, ihn eines Besseren zu belehren.
    ›Wie können Sie nur so blind sein mit Ihrem dummen Materialismus und Ihrem Trachten, für alles eine rationale Erklärung zu finden? Unsere Welt ist ein beleuchteter kleiner Fleck, ringsum von Finsternis umgeben. Aus dieser Finsternis beobachten uns Myriaden aufmerksamer Augen. Mächtige Hände lenken unsere Handlungen, indem sie an unsichtbaren Fäden ziehen. In dieser Mechanik werden wir uns niemals zurechtfinden. Ihre Versuche, die jenseitigen Zeichen zu anatomieren, sind einfach lächerlich!‹
    Statt darauf zu antworten, sagte er: ›Mademoiselle Colombina, Sie haben ein wirklich hübsches Kleid an, das steht Ihnen sehr.‹
    Mein Kleid war in der Tat schön – himmelblaue Seide mit |191| Brüsseler Spitze, auf den ersten Blick ganz konventionell, aber an den Manschetten und am unteren Volant hatte ich silberne Glöckchen angenäht, so daß jede Bewegung von einem kaum hörbaren zarten Ton begleitet wurde, meine eigene Erfindung. Aber das Kompliment im unpassenden Augenblick erboste mich.
    ›Unterstehen Sie sich, mit mir zu reden wie mit einer hohlköpfigen Idiotin!‹ fuhr ich ihn an. ›Was ist das für eine unerträgliche männliche Manier!‹
    Er lächelte.
    ›Solche Worte passen zu einer Suffragette. Und ich dachte, Sie sind eine leichtsinnige Colombina, ein Spielzeug in den Händen des bösen Arlecchino.‹
    Da ging ich in die Luft. Zu Beginn unserer Bekanntschaft habe

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