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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ich wohl wirklich so etwas zu ihm gesagt. Wie provinziell! Heute würde ich solche Platitüden um keinen Preis über die Lippen bringen. Aber es sind nur zwei Wochen vergangen. Wie konnte ich mich so schnell verändern?
    Wahrscheinlich weil ganz in meiner Nähe immerfort jemand stirbt. Der TOD zieht graziöse Kreise um mich, die von Mal zu Mal enger werden. Und da spricht Gendsi von einer Untersuchung!
    Er ist furchtbar verschlossen und erzählt mir fast nichts. Ich kenne weder seinen richtigen Namen noch die Art seiner Beschäftigung. Ich glaube, er ist Ingenieur, jedenfalls interessiert er sich sehr für technische Neuerungen und lebt auf, wenn die Rede auf selbstfahrende Equipagen und Motopede kommt.
    Was weiß ich eigentlich über ihn? Seit zehn Jahren lebt er im Ausland, reist von Land zu Land. Hat auch in Amerika gelebt. Nach Rußland kommt er nur besuchsweise – er hat irgendwelche Konflikte mit den Moskauer Behörden. Sagt, |192| er habe jetzt umziehen müssen, weil er observiert worden sei, direkt vor seinem Haus, wie Masa bemerkte. Den Spitzel hat der Japaner ziemlich rüde behandelt, er kann diese Spezies seit seiner Jugend als Räuber nicht ausstehen. Jedenfalls mußte Gendsi aus der Astscheulow-Gasse wegziehen, die nur fünf Gehminuten von Prosperos Haus entfernt liegt, bis hinter den Sucharew-Platz, in die Spasskije-Kasernen; dort war gerade eine Offizierswohnung frei.
    Wenn ich nach Einzelheiten frage, weicht er aus. Und man weiß nie, ob er im Ernst spricht oder einen veräppelt.«
     
    Colombina blickte vom Tagebuch auf, sah aus dem Fenster und knabberte versonnen am Federhalter. Wie sollte sie am besten ihre heutige Begegnung im Café Rivoli beschreiben?
    Sie hatte sich sehr verspätet. Das heißt, in Wirklichkeit war sie sogar vor der verabredeten Zeit gekommen und auf der anderen Straßenseite spazierengegangen. Sie sah ihn das Café betreten, trotzdem betrachtete sie noch eine halbe Stunde lang Schaufenster. Pünktlich zum Rendezvous – das war schlechter Stil, Provinzialismus, den sie abschütteln mußte. Für alle Fälle ließ sie die Tür nicht aus den Augen. Wenn er das Warten satt hatte und das Café verließ, würde sie auf ihn zugehen und so tun, als wäre sie eben erst gekommen.
    Wahrscheinlich biete ich einen wunderlichen Anblick, dachte Colombina: Eine extravagant gekleidete junge Frau steht reglos an einem Fleck wie Lots zur Salzsäule erstarrtes Weib. Als sie in die Runde blickte, bemerkte sie tatsächlich einen jungen Kerl in einem gewürfelten Jackett, auf dem Kopf eine alberne Kreissäge mit Seidenband, der sie anglotzte. Der Frechling leckte sich die Lippen, und in seinem Mund blinkte ein Goldzahn. Wenigstens zwinkerte er ihr |193| nicht zu. Klarer Fall, er hielt sie für eine Kokotte, na wenn schon. Wäre nicht der dreiste Milchbart gewesen, so hätte sie Gendsi noch länger schmoren lassen.
    Allzusehr schien er nicht zu schmoren. Er saß seelenruhig da und las Zeitung, sagte auch kein Wort des Vorwurfs wegen der Verspätung, sondern bestellte für sie eine Tasse Kakao und Kuchen. Er selbst trank Weißwein.
    »Was Interessantes gelesen?« fragte sie lässig. »Ich verstehe nicht, wie jemand Zeitung lesen kann. Was scheren mich andere Menschen, alles wirklich Wichtige geschieht ja im eigenen Innern. Und darüber steht nichts in der Zeitung.«
    Diese Sichtweise entmutigte ihn.
    »Wieso denn? Auch mit anderen Menschen geschieht viel Interessantes.«
    »So?« Colombina lächelte spöttisch. »Dann versuchen Sie doch, mich für Ihre Neuigkeiten zu interessieren. Was passiert auf der Welt?«
    »Bittesehr.« Er raschelte mit der Zeitung. »Da … Nachrichten vom Kriegsschauplatz in Transvaal. Das dürfte Sie kaum interessieren … V-Versuchen wir’s mit Sport.« Gendsi blätterte um. »
›Gestern fand in Petersburg auf der Krestowski-Insel ein Spiel zwischen einer deutschen und einer Petersburger Mannschaft statt. Die Petersburger Elf war stärker im Angriff und siegte überzeugend, indem sie achtzehn Tore schoß und selber nur sieben kassierte.‹
Na?«
    Sie verzog vielsagend das Gesicht.
    »Und vom N-Nordpol? Ein sehr interessanter Artikel.
›Prinz Ludwig, Herzog der Abruzzen, der den Versuch unternahm, mit sibirischen Schlittenhunden den Nordpol zu erreichen, mußte nach Spitzbergen zurückkehren. Drei Mitglieder der Expedition starben im Packeis, Seine Hoheit selbst erlitt starke Erfrierungen und verlor zwei Finger der linken Hand.
|194|
Der mißlungene Versuch, den

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