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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nördlichsten Punkt des Erdballs zu bezwingen, regte den bekannten Seefahrer Kapitän Johansen zu einem neuen Projekt an. Der erfahrene Polarforscher will Eisbären zähmen, um sie an Stelle der schwachen Hunde einzusetzen. Nach drei Jahren Dressur, so versichert der Kapitän, seien die Jungbären imstande, Schlitten mühelos übers Eis oder Boote durchs Wasser zu ziehen. Johansen erklärt, über die ungewöhnliche Expedition habe Prinzessin Xenia, die Gemahlin des Thronerben Prinz Olaf, persönlich das Patronat übernommen.
‹«
    An dieser Stelle stieß Gendsi einen Seufzer aus, Colombina hielt die Hand vor den Mund und tat, als ob sie gähnte.
    »Na gut«, sagte er nachgiebig, als er sah, daß er die Dame nicht für Sport begeistern konnte. »Probieren wir’s mit der Rubrik ›Vermischtes‹, da findet sich immer etwas Interessantes. Zum Beispiel das hier. ›ORIGINELLER GAUNERSTREICH.
Am 14. September ging der Bauer Semjon Dutikow nach seiner Ankunft in Moskau vom Kursker Bahnhof zur Sadowaja-Straße. Da er nicht wußte, wie er die Tscherkasski-Gasse erreichte, fragte er einen Unbekannten nach dem Weg, und der erbot sich, ihn hinzubringen. Als sie durch eine menschenleere Gasse kamen, machte der Unbekannte den Bauern auf eine Brieftasche aufmerksam, die auf dem Gehweg lag; sie enthielt fünfundsiebzig Rubel. Dutikow willigte ein, das Geld mit dem Unbekannten zu teilen, aber da kam aus dem Torweg ein breitschultriger Herr von sehr entschlossenem Aussehen gelaufen und schrie, er habe die Brieftasche verloren, darin seien zweihundert Rubel gewesen …‹
Ach, diese Spitzbuben! Armer B-Bauer Dutikow!«
    Gendsi machte eine Pause, und Colombina bat: »Lesen Sie lieber etwas aus dem Kulturteil. Was gehen mich Ihre Spitzbuben |195| an. Es war doch klar, daß der Bauer ausgeplündert wird. Recht ist ihm geschehen, was schielt er nach fremdem Eigentum.«
    »Zu Befehl, Mademoiselle. ›NEUES THEATERSTÜCK.
In Moskau ist der junge Schriftsteller Maxim Gorki eingetroffen. Er hat sein gerade erst geschriebenes Stück mitgebracht, das noch nicht einmal die Zensur passiert hat. „Die Kleinbürger“ will er es nennen. Der erste Versuch Gorkis als Dramatiker ist bei der Direktion des Künstlertheaters auf lebhaftes Interesse gestoßen.‹
«
    »Pah, Klein-bür-ger«, sagte Colombina gedehnt. »Er bringt es fertig und schreibt auch noch Stücke über Landstreicher oder über ein Nachtasyl. Nein, unsere russischen Schriftsteller sind unverbesserlich. Das Leben hat ohnehin wenig Schönes zu bieten, und sie wühlen auch noch im Schmutz. Lesen Sie mir lieber etwas Prickelndes vor.«
    »Das gibt’s hier auch. ›
EIN NEUES VERGNÜGEN DER MILLIONÄRE. In Newport, dem Modeseebad der amerikanischen Reichen, ist in letzter Zeit eine wahre Manie für den Automobilismus zu beobachten. Die Sprößlinge angesehener amerikanischer Familien rasen über die Chausseen und Uferstraßen mit bis zu dreißig Stundenkilometern. Die Polizei registriert eine stetig zunehmende Zahl von Unglücksfällen als Folge von Rennen mit selbstfahrenden Equipagen. Vor kurzem hätte sich beinahe der junge Harold Vanderbilt zu Tode gefahren, als er mit seinem Fahrzeug gegen einen Heuwagen prallte.‹
Dreißig Stundenkilometer, das ist noch nicht die Grenze!« rief Gendsi pathetisch. »Aber es geht gar nicht um das Tempo! Ich bin sicher, daß das Automobil nicht einfach ein V-Vergnügen ist, nein, damit lassen sich gewaltige Entfernungen zurücklegen. Das werde ich beweisen, sobald ich meine Moskauer Angelegenheiten erledigt habe!«
    |196| Colombina hatte den kaltblütigen Gendsi noch nie so aufgeregt gesehen. Die verstorbene Loreley hatte recht: Männer sind wie Kinder.
    Aber da blickte er wieder in die Zeitung, und sein Gesicht verfinsterte sich.
    »Was ist?« fragte sie aufmerkend.
    »Schon wieder ein Artikel über den ›Blender von Chitrowka‹«, antwortete er widerwillig, während seine Augen die Zeilen überflogen. »Sie kriegen ihn nicht. Nichts Neues, Spekulationen von Journalisten.«
    »Der ›Blender von Chitrowka‹?« Colombina rümpfte die Nase. »Ist das der Verbrecher, der seinen Opfern die Augen aussticht? Ja, ja, ich hab davon gehört. Was für ein vulgärer Spitzname! Warum müssen Verbrechen immer so tierisch langweilig sein? Wo sind die Künstler des Bösen geblieben? Ich würde Mörder nicht dafür hinrichten, daß sie morden, sondern dafür, daß sie ihr blutiges Geschäft so unbegabt, so abgeschmackt besorgen.«
    Dieser Gedanke war

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