Magier von Moskau
dann konnte sie sich die Frage nicht verkneifen: »Warum nennen Sie ihn Erlaucht?«
Der Portier antwortete geheimnisvoll: »Unsereins hat ein geübtes Auge für wirkliche Herren, und wenn sie sich sonstwie nennen. Leider sind Sie umsonst gekommen, Fräulein, der Herr Nameless sind nicht zu Hause, noch nicht zurückgekommen. Der Kammerdiener, der ist da.«
»Der Japaner?« fragte Colombina für alle Fälle. »Masa?«
»Masail Mitsujewitsch«, korrigierte der Pförtner streng. »Ein sehr solider Herr. Wünschen Sie ihn zu sehen?«
»Ja. Wenn Erast … äh … Petrowitsch nicht da ist …«
»Bitte sehr. Meine Frau wird Sie hinbringen. Fenja! Fenja! Zeig dem Fräulein den Weg!« rief der Pförtner in die offene Tür der Portierswohnung. Er bekam keine Antwort. »Sie ist wohl weggegangen, und ich hab’s nicht bemerkt«, sagte der Schwarzbart verwundert. »Na, macht nichts, Sie können’s nicht verfehlen. Immer die Wand lang, dann um die Ecke, da ist die Vortreppe.«
Die Vortreppe war schnell gefunden, aber auf Colombinas Klopfen wurde lange nicht geöffnet. Schließlich platzte ihr die Geduld, es zählte ja jede Minute, und sie schlug ärgerlich mit der flachen Hand gegen die Tür. Die war nicht verschlossen. Sie ging knarrend auf, und im nächsten Moment stand die Besucherin in einer spartanischen kleinen Diele, wo an einem Kleiderrechen neben Uniformmänteln und Zivilsachen |211| allerlei Riemen, Reitpeitschen, Zaumzeug und sonstiges Zubehör hingen.
»Masa, wo sind Sie?« rief Colombina. »Es ist dringend! Kommt Herr Nameless bald?«
Hinter der Tür, an der ein Pariser Plakat mit der Abbildung graziler Tänzerinnen klebte, hörte sie ein Rascheln und Tuscheln. Verärgert ging sie auf das Geräusch zu, riß entschlossen die Tür auf und erstarrte.
Der Japaner stand da mit Chemisette und Manschetten, aber ohne Hose, und half einer korpulenten Person weiblichen Geschlechts, ein ganzes Stück größer als er, in ihren Kattunrock.
Das Erscheinen der ungebetenen Besucherin zeitigte Wirkung. Die üppige Person kreischte auf, hockte sich hin und bedeckte ihre beeindruckenden Brüste mit den Händen, während der erstaunliche Kammerdiener des Herrn Nameless die Patschhändchen flach an die nackten Oberschenkel legte und eine höfliche Verbeugung machte.
»Was ist so dlingend, Colombina-san?« fragte er, sich aufrichtend. »Sehr dlingend oder einfach dlingend?«
»Sehr-sehr dringend«, antwortete sie und gab sich Mühe, die unbekleidete Dicke und die unbehaarten Beine des Japaners zu übersehen, obwohl für Etikette jetzt nicht die Zeit war. »Wir müssen sofort losfahren und einen Menschen retten, sonst passiert Nichtwiedergutzumachendes. Wo ist Ihr Herr?«
Masa runzelte die spärlichen Brauen, überlegte kurz und sagte dann entschlossen: »Nich da. Hat auch nich angelufen. Den Menssen letten wede ich.« Er verbeugte sich vor seiner Dame, von der die Erstarrung noch nicht gewichen war, und schob sie zum Ausgang. »Ich danke Ihnen, Fenja-san. Bitte mich lieben und besuchen.«
|212| Fenja (die Frau wohl, nach der der Pförtner vergeblich gerufen hatte) schnappte sich ihre Schuhe, ihre Bluse und die Strümpfe und schlüpfte hinaus. Colombina wandte sich ab, damit der Asiat in Ruhe seine Toilette vervollständigen konnte.
Gleich darauf eilten sie zum Tor, wobei Masas kurze Beinchen so geschwind trippelten, daß seine Begleiterin kaum mitkam.
Sie fuhren eine Weile mit der Droschke und fanden erst nach langem Suchen in der Dunkelheit das Gasthaus Kleinfeld, ein zweistöckiges graues Haus gegenüber dem Petrowski-Park. Gdlewski hatte, wie es sich für einen Dichter geziemt, eine Dachkammer gemietet.
Als sie die Treppe hinaufstiegen (der Japaner vornweg, Colombina hinterher), sagte sie immer wieder: »Wenn wir nur nicht zu spät kommen, wenn wir nur nicht zu spät kommen.«
Die Tür war verschlossen. Auf das Klopfen reagierte niemand.
»Den Hausmeister holen?« fragte Colombina mit zitternder Stimme.
»Nich notwendich«, antwortete Masa. »Gen Sie bissen beiseite, Colombina-san.«
Sie trat zurück. Der Japaner stieß einen urigen Laut aus, sprang hoch und rammte mit entsetzlicher Kraft einen Fuß gegen die Tür. Sie flog polternd aus den Angeln.
Mit den Schultern die Wände des schmalen Korridors streifend, rannten sie ins Zimmer.
Das erste, was Colombina im Dämmerlicht wahrnahm, war das Rechteck des offenen Fensters. Dann drang ihr ein scharfer, seltsam bekannter Geruch in die Nase. So hatte es bei den
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