Magier von Moskau
Fleischbänken gerochen, wenn sie als Kind mit der Köchin Frossja auf dem Markt war, um Därme und Innereien für die hausgemachte Wurst zu kaufen.
|213| »Ja, sehr dlingend, sehr dlingend«, seufzte Masa und riß ein Streichholz an, um die Petroleumlampe anzuzünden.
Colombina schrie auf.
Der Dichter lag mit dem Gesicht in einer großen blinkenden Lache. Seine hellbraunen Haare waren auf dem Hinterkopf naß von Blut, die Arme hilflos ausgebreitet.
Zu spät!
Wie muß er sich beeilt haben, war Colombinas erster Gedanke.
Erschauernd wandte sie sich ab. Auf dem Tisch neben der Lampe lag ein Blatt Papier. Mit hölzernen Beinen trat sie näher. Las die gleichmäßigen Zeilen ohne auch nur eine Korrektur:
Auf einmal wogten Gardinen –
Im Traum ein flüsternder Mund,
Die Kerzen, die eben noch schienen,
Erloschen jäh, ohne Grund.
Als einige Saiten berührte
Ein drohendes Schattengesicht.
Was die schwarze Braut zu mir führte,
Der Lampe flackerndes Licht?
Nun legen sich endlich die Schmerzen,
Kein krankhafter Traum, keine Not,
Das Leben erlischt wie die Kerzen,
Wenn mädchenhaft atmet der Tod.
Nicht jener, von dem wir einst schrieben,
Als erstmals den Reim suchten wir,
Ein Andrer, zum Atmen geblieben,
Als nichts mehr zum Atmen blieb hier.
|214| »O Gott!« stöhnte sie. »Warum hatte er es so eilig?«
»Ssnell weg, nich entdeckt weden«, ließ sich Masa vernehmen, der die Nase dicht übers Fensterbrett hielt und sich dann ganz hinauslehnte. »Hat seine Sache getan und lausgestiegen.«
»Rausgestiegen? Wer denn?« fragte Colombina schluchzend. »Wohin? Was reden Sie?«
»Der Mölder. Auf Feuelleitel eingestiegen, Kopp eingesslagen und hinaus.«
»Mörder? Gdlewski hat sich selbst umgebracht! Ach ja, das können Sie nicht wissen.«
»Selbst?« Masa hob vom Fußboden ein Stück Eisenrohr auf. »So etwa?« Er nahm den steifen Hut ab und tat, als schlüge er sich auf den Hinterkopf. »Colombina-san, so geht nich. Nein, junge Mann hat an Tisch gesesst. Jemand ist zum Fenster leingekommen. Junge Mann lauft esslocken zu Tür. Mölder hinteher und hat ihm das Eisending auf den Ssädel gehaut.«
Er hockte sich bei dem Toten hin, berührte mit dem Finger den blutigen Brei. Colombina hielt sich an der Tischkante fest, denn das Zimmer verschwamm ihr plötzlich vor den Augen.
»Ssädel is zessmettert.« Der Japaner sprach das klangvolle Wort mit sichtlichem Vergnügen aus. »Der Mölder ist gans, gans stark. Solche gibt nich viele. Das ist gut. So kann mein Herr ihn gut finden.«
Colombina hatte sich von der neuen Erschütterung noch nicht erholt. Also hatte Gdlewski sich nicht selbst umgebracht? Er war ermordet worden? Von wem? Weswegen? Wahnsinn!
»Wir müssen nach der Polizei schicken«, murmelte sie.
Sie wollte nur eines – schnell raus aus dem unheimlichen Zimmer mit dem frischen Schlachtegeruch.
|215| »Ich gehe selbst. Runter zum Hausmeister.«
Masa schüttelte den Kopf.
»Nein, Colombina-san. Zuest mein Herr. Muß es sehen. Danach Polisei. Sie waten hier. Ich suche Telephon.«
Er blieb zwanzig Minuten weg, und das waren die schlimmsten zwanzig Minuten in Colombinas Leben. Das dachte sie, als sie am Fenster stand und zu den Lichtern hinter dem dunklen Komplex des Petrowski-Parks hinüberblickte. Sich umzudrehen hatte sie Angst.
Als sie hinter sich ein leises Rascheln hörte, kniff sie die Augen zu und zog den Kopf zwischen die Schultern. Sie stellte sich vor, wie der tote Gdlewski vom Fußboden aufstand, den zerschlagenen Kopf drehte und sich mit gespreizten Armen aufs Fenster zu bewegte. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine unbekannte Gefahr hinter sich zu spüren. Aufkreischend fuhr Colombina herum.
Das hätte sie nicht tun sollen.
Gdlewski hatte sich zwar nicht vom Fußboden erhoben, er lag noch genauso mit dem Gesicht nach unten, aber seine Haare bewegten sich auf unbegreifliche Weise. Colombina guckte genauer hin und sah, daß an der Wunde zwei Mäuse herumschnupperten.
An einem Schrei würgend, stürzte sie zur Tür, sauste die Treppe hinunter und prallte gegen den heraufkommenden Masa.
»Ich habe von der Nachtapotheke angelufen«, meldete er. »Mein Herr kommt gleich. Ich danke Ihnen, Colombina-san. Sie können nach Hause gehn. Ich muß hielbleiben und kann Sie nicht zur Kutsse begleiten. Ich bitte um Versseihung.« Der Japaner verbeugte sich schuldbewußt.
|216| O Gott, wie sie lief, um von dem verfluchten Gasthaus Kleinfeld wegzukommen! Bis zur
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