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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Entheiligung der Selbstmord-Idee, worin ich ihm von Herzen zustimme, aber mit Ihrer Erlaubnis werde ich den beseelten Monolog nicht nacherzählen, da er für Ihre Behörde ohne Interesse ist. Ich merke nur an, daß der Mann eine vorzügliche Rede hielt, obwohl er mehr als gewöhnlich stotterte.
    Die Informationen, die er im weiteren gab, werden Ihnen sicherlich von Nutzen sein. Diesen Teil seiner Rede gebe ich ausführlich und sogar in der ersten Person wieder, um hin und wieder eigene Kommentare einfügen zu können.
    Der Stotterer begann so oder annähernd so:
    »Ich lebe meistens im Ausland und halte mich nur selten in Moskau auf, denn das Klima meiner Heimatstadt« [nach seiner Aussprache hatte ich auch vermutet, daß er Moskauer ist] »ist seit geraumer Zeit meiner Gesundheit nicht mehr zuträglich. Dennoch verfolge ich aufmerksam alles, was hier vorgeht: Ich bekomme Briefe von Bekannten und lese die |248| wichtigsten Moskauer Zeitungen. Die Mitteilungen über die Selbstmordepidemie und die geheimnisvollen ›Liebhaber des Todes‹ haben natürlich meine Aufmerksamkeit erregt. Vor nicht allzu langer Zeit mußte ich mich nämlich mit dem Fall des Londoner Klubs ›Nemesis‹ befassen, einer Verbrechervereinigung mit einer ausgefallenen kriminellen Besonderheit: Menschen wurden aus Eigennutz in den Selbstmord getrieben. So nimmt es nicht wunder, daß mich die Nachrichten aus Moskau hellhörig machten. Ich vermutete, daß hinter der ungewöhnlichen Häufung grundloser Selbstmorde ein ganz natürliches und praktisches Motiv steckt. Ob sich da wohl die Geschichte von ›Nemesis‹ wiederholt? dachte ich. Wenn nun einige übelgesonnene Personen leichtgläubige oder unter fremdem Einfluß stehende Menschen absichtlich zu diesem verhängnisvollen Schritt drängen?
    Zwei Tage nach meiner Ankunft in Moskau nahm sich wieder ein Dichter das Leben, Nikifor Sipjaga. Ich sah mir seine Wohnung an und überzeugte mich, daß er tatsächlich zu den ›Liebhabern des Todes‹ gehört hatte. Die Polizei interessierte sich nicht einmal dafür, wer dem bettelarmen Studenten die recht passable Unterkunft bezahlt hatte. Ich fand heraus, daß die Wohnung ein gewisser Sergej Irinarchowitsch Blagowolski gemietet hatte, ein Mann mit ungewöhnlichem Schicksal und von extravaganter Lebensart. Die Observierung der Wohnung von Herrn Blagowolski bestätigte meine Vermutung – die geheimen Zusammenkünfte fanden hier statt.
    Ohne besondere Anstrengung gelang es mir, einer der Ihren zu werden, und nun konnte ich meine Recherchen innerhalb des Klubs fortsetzen. Anfangs wiesen die Indizien auf eine ganz bestimmte Person.« [Der Stotterer blickte vielsagend zu dem Dogen, der gebeugt und jämmerlich dasaß.] |249| »Jedoch eine gründlichere Untersuchung der Umstände der Selbstmordserie und insbesondere die letzten Ereignisse – die Ermordung Gdlewskis und Shemailos [ja, ja, Herr Shemailo wurde auch getötet], ebenso der Mordanschlag auf Mademoiselle Colombina lassen diese Geschichte in einem ganz anderen Licht erscheinen. Eine merkwürdige Geschichte und so verworren, daß ich manche Details noch nicht restlos entwirren konnte, doch das gestrige Ereignis erfüllte die Rolle des Schwertes, das diesen gordischen Knoten durchschlug. Die Details haben ihre Bedeutung verloren und werden jetzt leicht zu enträtseln sein.
    Loreley Rubinstein vergiftete sich mit Morphium, nachdem sie in ihrem Zimmer an drei Tagen eine schwarze Rose fand, was diese empfindsame und vom Selbstmordwahn verwirrte Frau als den Ruf des TODES auffaßte. Ich habe ziemlich leicht ermittelt, daß die schwarzen Rosen der unglücklichen Loreley von ihrer Mitbewohnerin hingelegt worden waren, einem geldgierigen und beschränkten Geschöpf. Sie dachte sich dabei nichts Böses, sondern glaubte, daß sie damit dem neuen Verehrer der Dichterin einen Gefallen tat. Für diese sonderbare, aber auf den ersten Blick ganz harmlose Gefälligkeit zahlte ihr der Unbekannte jeweils fünf Rubel unter der Bedingung, daß sie Stillschweigen bewahrte. Beim ersten Gespräch war diese Person sehr betroffen – sie wußte schon, wohin ihr Entgegenkommen geführt hatte. Als sie aber sagte, daß die Rosen als Strauß abgegeben worden waren, begriff ich sofort: Sie lügt, denn die drei Blumen befanden sich in einem unterschiedlichen Stadium des Welkens.
    Ich habe diese Frau erneut aufgesucht, ohne Zeugen, und sie gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Sie hat alles zugegeben und den geheimnisvollen Verehrer recht

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