Magier von Moskau
die Reisende, deren Reise sich dem glanzvollen Ende nähert, von eben diesem Gefühl jetzt ganz erfüllt ist. Wohl und wehe ist ihr ums Herz.
Colombina saß lange am Tisch, auf dem drei mählich zerfließende weiße Kerzen brannten, und bedachte unterschiedliche Methoden ihres Weggangs, so als sehe sie vor einem Ball ihre Festkleider durch, halte sie sich an, betrachte sich im Spiegel, seufze und lege das verworfene Kleid auf den Sessel. Nicht das Richtige, wieder nicht das Richtige.
Merkwürdigerweise hatte sie kaum Angst. Die drei weißen Zettel, die ordentlich auf dem Tisch lagen, verströmten Kraft und Ruhe. Colombina wußte: Zuerst würde es ein bißchen weh tun, dafür würde danach alles sehr, sehr schön sein, und nur eine eigentlich unwichtige Frage beunruhigte das eitle und kokette Mädchen: wie sie nach dem Tod aussehen würde. Aber vielleicht war das doch das wichtigste Problem, das sie in ihrem kurzen und dem Finale zujagenden Leben noch entscheiden mußte.
Sie wollte nach ihrem Ende wie eine schöne Puppe aussehen, zur Ruhe gebettet in einem hübschen Karton. Also waren schnelle Methoden wie Erhängen oder Sprung vom Balkon nicht geeignet. Am besten wäre natürlich, ein Schlafmittel einzunehmen – einen Kristallflakon Opium zu leeren und dazu süßen Tee zu trinken, mit Johannisbeermarmelade. Tee hatte sie, auch Johannisbeermarmelade. Aber Schlafmittel besaß sie nicht, denn sie hatte in ihrem Leben nie an Schlaflosigkeit gelitten. Sowie sie den Kopf aufs Kissen legte und das goldschimmernde Haar auf beiden Seiten ausbreitete, fiel sie in Schlaf.
|239| Schließlich war die schwere Wahl getroffen.
Warmes Wasser in die Wanne einlassen. Ein paar Tropfen Lavendelöl hinzugeben. Gesicht und Hals mit der wunderbaren Creme Lanolin einreiben, »dem idealen Mittel zur Bewahrung einer makellosen Haut« (drei Tage, bis zur Beerdigung – länger wurde die makellose Haut nicht gebraucht). Das weiße Spitzenkleid anziehen, das ein wenig einem Brautkleid glich. Die Haare mit einem purpurroten Band zusammenbinden, passend zur Farbe des Wassers. Sich in die Wanne legen, unter Wasser (damit es nicht so weh tat), mit einem scharfen Messer die Adern öffnen und allmählich einschlafen. Wer Colombina fand, würde sagen: Sie sah aus wie eine weiße Chrysantheme in einem Pokal Roséwein.
Blieb nur noch das letzte: ein Gedicht schreiben. Damit würde die Erzählung über Colombina enden, die aus unbekannter Ferne in die STADT DER TRÄUME geflogen kam, hier kurz ihre körperlosen Flügelchen ausbreitete und aus dem Licht in den Schatten flatterte.
Nein, das taugte nicht. Die erste Zeile stammte aus einem anderen Gedicht, und die letzte war eine Nachahmung. Versuchen wir es noch einmal.
|240| Wieder nicht gut. Ihr wurde ganz schlecht. Ach, war das schwer! Und das Wasser wurde inzwischen kalt. Sie mußte neues einlassen.
Noch einmal!
Das war zu spöttisch und zu getragen. Es mußte leichter, müheloser daherkommen.
Tod ist Schlaf nicht, noch Vergessen,
Weil er wie ein Garten blüht,
Wo mich neu erwachen lassen
Wasserfälle und ihr Lied.
Bis zu Schmerzen muß man gehen,
Um in Freiheit unterm Baum,
Endlich sterbend aufzustehen
Von der Unfreiheit im Traum.
Ob verständlich ist, was die Wasserfälle bedeuten – nämlich das Rauschen des Wasserstrahls im Badezimmer? Ach, soll es ruhig unverständlich sein! Genug gekritzelt. Wer sagt denn, daß ein Abschiedsgedicht lang sein muß? Colombinas Gedicht ist eben kurz und absurd, so wie ihr kurzes und absurdes (aber dennoch schönes, sehr schönes) Le …«
Colombina schrieb das Wort nicht zu Ende – in der nächtlichen Stille schrillte die Türklingel.
Wer konnte das sein, in der dritten Stunde?
Früher wäre sie erschrocken. Bekanntlich verheißt es nichts Gutes, wenn es nachts an der Tür klingelt. Aber wovor |241| sollte sie sich noch fürchten, nachdem sie mit dem Leben abgeschlossen hatte?
Am besten sie öffnete gar nicht. Mochte der nächtliche Besucher ruhig läuten.
Sie legte das Köpfchen des dösenden Luzifers behaglicher in die Kuhle des Schlüsselbeins und versuchte sich auf ihr Tagebuch zu konzentrieren, aber das pausenlose Klingeln störte sie.
Nun mußte sie doch nachsehen, was für eine Überraschung das Leben kurz vor dem Ende noch für sie bereithielt.
Colombina zündete die Gaslampe im Flur nicht erst an.
Sie ahnte schon, wer sie zu so später Stunde besuchte.
Das konnte nur Gendsi sein. Er hatte etwas gespürt und war
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