Magier von Moskau
sich mit der unglücklichen Frau einen bösen Scherz, der seinem kranken Hirn wahrscheinlich sehr scharfsinnig vorkam. Eine andere Motivation fällt mir nicht ein.
Hingegen ist bei Gdlewski alles völlig klar. Der Junge brüstete sich zu sehr mit dem Wohlwollen, das ihm der TOD angeblich bewies. Die Geschichte mit den Freitags-Reimen ist wirklich verblüffend – so viele Zufälle gibt es nicht. Ich vermutete gleich ein unsauberes Spiel und wollte den Leierkastenmann, dessen Liedchen Gdlewski als letztes Zeichen auffaßte, beschatten. Aber der Mann war wie vom Erdboden verschwunden. Ich ging an jenem Abend alle umliegenden Straßen ab, fand ihn aber nicht.
Caliban war wirklich von der Liebe zum TOD besessen. Er liebte ihn leidenschaftlich, wie man verhängnisvolle Frauen liebt. So muß José seine Carmen geliebt haben und Rogoshin die Nastassja Filippowna 6 – voller Qual und brennender |253| Ungeduld und verzweifelter Eifersucht auf glücklichere Rivalen. Und nun tat sich der Gymnasiast auch noch groß mit seinem vermeintlichen Triumph. Caliban ermordete Gdlewski, um einen Rivalen auszuschalten. Er arrangierte absichtlich alles so, daß Sie, die übrigen, verstanden: Es war kein Selbstmord, das Jüngelchen war ein Usurpator, die Ewige Braut hatte sich nicht mit ihm vermählt. Um es in der Zeitungssprache auszudrücken – es war ein Verbrechen aus Leidenschaft.«
Bei dem Wort Zeitung mußte ich an Lawr Shemailo denken.
»Und was geschah mit Cyrano?« fragte ich. »Sie sagten, es war Mord. Wieder Papuschin?«
»Selbstverständlich war Shemailos Tod kein Selbstmord«, antwortete der Stotterer. »Caliban hatte den Journalisten auf irgendeine Weise enttarnt. Kurz vor seinem Tod rief der Reporter in der Redaktion an (höchstwahrscheinlich aus dieser Wohnung hier) und versprach, eine umwerfende Neuigkeit zu liefern. Ich weiß nicht, was er damit meinte, aber ich erinnere mich gut an die Ereignisse jenes Abends. Cyrano trat zu den Bücherregalen, betrachtete die Buchrücken und nahm einen Band in die Hand. Dann ging er hinaus und kehrte nicht zurück. Das war gegen zehn Uhr abends. Die Obduktion ergab, daß der Tod nicht später als elf Uhr eintrat.«
Daher also die rätselhafte Bewegung der Tür, die ich an jenem Abend im Kabinett wahrgenommen hatte! Ich hatte Cyrano vom Korridor aus belauscht, während sich Caliban im Speisezimmer versteckt hielt. So war er dem Korrespondenten auf die Schliche gekommen!
»Der Polizeiarzt hat festgestellt«, fuhr unterdessen der Stotterer fort, »daß Shemailo erstickt ist; am Hals des Toten wurden außer der Strangulationsstrieme auch deutliche |254| Fingerabdrücke gefunden. Offensichtlich verfolgte Papuschin den Journalisten, holte ihn auf dem Boulevard ein, der um diese späte Stunde menschenleer war, und erwürgte ihn, denn an Kraft mangelte es ihm nicht. Der schlaffe und kleine Cyrano konnte dem rasenden Buchhalter keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen. Dann hängte Caliban den Leichnam an einem Baum auf, wozu er den Gürtel des Getöteten benutzte. Das war kein Verbrechen aus Leidenschaft mehr, sondern ein Vergeltungsakt. Aus der Sicht Calibans, der die Mitgliedschaft im Klub als heiligen Dienst auffaßte, war Cyrano ein gemeiner Verräter, der das Schicksal eines Judas verdiente. Darum wählte er den Baum des Judas – die Espe.«
Hier brach mir, ehrlich gesagt, der kalte Schweiß aus. Ich stellte mir vor, was der Verrückte mit mir gemacht hätte, würde er von meinem Briefwechsel mit Ihnen erfahren haben. Vielleicht verstehen Sie wenigstens, was für einem ungeheuerlichen Risiko ich mich ausgesetzt habe, um Ihren Auftrag zu erfüllen?
Mein Herz hämmerte, die Hände zitterten, und ich fürchte, daß ich nicht mehr ganz so aufmerksam zuhörte, darum gebe ich den Schluß der Rede in geraffter Form wieder.
»Die Straflosigkeit nach den beiden vorangegangenen Morden und zunehmende Erbitterung drängten Caliban-Papuschin zu einem neuen Verbrechen. Er beschloß, Colombina zu töten, die neue Favoritin des TODES. Der Geisteskranke muß es als furchtbare Demütigung empfunden haben, daß die heilige Botschaft, die er von der Ewigen Braut erhalten hatte, öffentlich als Fälschung bezeichnet wurde. Hatte Colombina doch behauptet, daß
ihre
Zeichen nicht brennen.
Hier muß ich erklären, daß nach Papuschins tiefer Überzeugung, |255| in der ihn unser Doge eifrig bestärkte, Selbstmord die edelste Form des Dahinscheidens ist, oder, wie sich Sterne ausdrückte, der
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