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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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gekommen, um wieder auf sie einzureden, sie umzustimmen. Sie mußte so tun, als gäbe sie ihm recht. Warten, bis er ging, und dann …
    Sie öffnete die Tür.
    Im Treppenhaus war es dunkel. Jemand hatte das Licht gelöscht.
    Sie sah verschwommen eine Silhouette. Groß, korpulent – nein, das war nicht Gendsi.
    Der nächtliche Besucher schwieg, es war nur sein keuchender Atem zu hören.
    »Wollen Sie zu mir?« fragte Colombina und starrte in die Dunkelheit.
    »Zu dir!« krächzte es, so wütend und bösartig, daß die junge Frau zurückprallte.
    »Wer sind Sie?« rief sie.
    »Dein Tod! Der ganz gewöhnliche Tod.«
    Ein heiseres Lachen folgte, aus der Tiefe der Kehle. Die Stimme kam Colombina bekannt vor, aber vor Entsetzen |242| konnte sie sich nicht besinnen, und ihr blieb auch keine Zeit, sich zu konzentrieren.
    Der Schatten war mit einem Satz in der Diele und packte das Fräulein mit eisernem Griff am Hals.
    Die Stimme zischte: »Du wirst blau anlaufen und die Zunge herausstrecken. Eine schöne Auserwählte!«
    Der schreckliche Besucher stieß wieder ein heiseres Gelächter aus, es klang wie das Kläffen eines altersschwachen Hundes.
    Auf das Lachen antwortete der erwachte Luzifer mit einem wütenden Zischen. Das tapfere Schlänglein, das in den letzten Wochen bei einer Kost von Milch und Hackfleisch kräftig gewachsen war, verbiß sich in die Hand des Angreifers. Der brüllte auf, packte die Natter am Schwanz und schmetterte sie gegen die Wand. Das Ganze dauerte höchstens eine Sekunde, doch Colombina konnte sich losreißen. Sie handelte nicht überlegt, sondern gehorchte wie ein Tier ihrem Instinkt.
    Mit aufgerissenem Mund, aus dem jedoch kein Schrei drang, lief sie den Korridor entlang. Sie lief aufs Geratewohl, ohne zu wissen, wohin und wozu.
    Vorwärtsgetrieben wurde sie von der Todesangst. Entsetzlicher, unbeschreiblicher Angst. Hinter ihr knallte mit den Absätzen nicht der hehre TOD, sondern der gewöhnliche, schmutzige, gruslige Tod. Der aus der Kindheit. Fette Friedhofserde. Weiße Grabwürmer. Ein fletschender Schädel. Löcher statt Augen.
    Ein Gedanke blitzte auf: ins Bad, den Riegel vorschieben und schreien, gegen das Eisenrohr hämmern, damit die Nachbarn sie hörten. Die Badezimmertür öffnete sich nach außen, die Klinke war locker. Wenn er an ihr zerrte, würde sie abbrechen, und er würde die Tür nicht aufbekommen.
    |243| Die Idee war gut, verhieß Rettung. Doch um sie zu verwirklichen, brauchte Colombina drei, wenigstens zwei Sekunden, aber die hatte sie nicht.
    An der Zimmerschwelle packte eine Hand sie von hinten am Ärmel. Colombina wehrte sich so heftig, daß die Knöpfe von der Kleidung sprangen.
    Da kehrte ihre Stimme zurück.
    »Hilfe!« schrie sie aus vollem Hals.
    Und sie hörte nicht auf zu schreien, schrie, so laut sie konnte.
    Sie lief vom Zimmer nach links, in die Küche.
    Da war die Tür vom Badezimmer, sie hörte das Wasser rauschen. Nein, sie schaffte es nicht.
    Aus der Küche wieder nach links, in den Korridor. Der Kreis hatte sich geschlossen.
    Wohin nun? Zurück ins Zimmer oder ins Treppenhaus? Die Tür stand noch offen.
    Lieber ins Treppenhaus. Vielleicht kam ein Nachbar heraus?
    Schreiend stürmte sie in den dunklen Hausflur, jagte die Treppe hinunter. Bloß nicht stolpern!
    Der lange Rock störte. Colombina raffte ihn mit einem Ruck über die Knie.
    »Halt, du Diebin! Halt!« brüllte hinter ihr die heisere Stimme.
    Wieso »Diebin«? dachte Colombina noch, da brach ihr, vor dem letzten Treppenlauf, ein Schuhabsatz knirschend ab. Aufschreiend knallte sie mit Brust und Bauch auf die Steinstufen und sauste abwärts. Sie stieß sich die Ellbogen, aber sie spürte keinen Schmerz, nur Angst.
    Sie begriff, daß sie nicht mehr davonkam, und preßte die Stirn auf den Boden. Er war kalt und roch nach Staub. Sie kniff die Augen zu.
    |244| Da fiel die Haustür krachend ins Schloß.
    Ein schallender Ruf: »Stehenbleiben! Oder ich schieße!«
    Darauf eine heisere Antwort: »Da hast du!«
    Ein Knall, der Colombinas Ohren betäubte. Hatte sie bislang in der Finsternis nichts sehen können, so konnte sie nun auch nichts mehr hören.
    Dafür nahm sie einen scharfen Geruch wahr, der ihr bekannt vorkam.
    Sie erinnerte sich – Schießpulver. Wenn ihr Bruder Mischa im Garten auf Krähen schoß, hatte es genauso gerochen.
    Aus weiter Ferne kam kaum vernehmbar eine Stimme: »Colombina! Leben Sie?«
    Gendsis Stimme.
    Kräftige, doch nicht grobe Hände drehten sie vorsichtig auf den

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