Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
Hören verbunden. Sie tasten vielmehr das Fadenwerk ab, und es obliegt dem Geschick und der Erfahrung des Magieanwenders, zu deuten, was sie dort spüren.« Er musterte sie wie ein besonders seltenes Exemplar einer exotischen Blumenart. »Du entwickelst bemerkenswerte Fähigkeiten, Kendra. Die würde ich gerne näher untersuchen.«
»Großvater!«, rief Kendra. »Hast du mir überhaupt zugehört? Ein anderer Magier ist im Zug.«
»Ja, richtig. Entschuldige. Ich werde mir ihn mal ansehen.« Er lehnte sich wieder zurück und wechselte in die Wahrsicht. »Du bleibst aber, wo du bist, Kendra«, ermahnte er sie mit erhobenem Zeigefinger. »Die meisten Magier sind Spürfäden gegenüber sehr empfindlich. Er mag dich nur deshalb nicht bemerkt haben, weil er nicht damit rechnete, ohne Berührung von dir wahrgenommen zu werden.«
Einige bange Augenblicke verstrichen, während derer Kendra halb erwartete, dass der Fremde, der keine zwanzig Schritt von ihr entfernt saß, unvermittelt herbeigestürmt kam und sie in ihrem Abteil angriff. Aber nichts dergleichen geschah. Schließlich erlosch der Glanz in den Augen ihres Großvaters wieder, und er blickte sie an. »Du hattest recht. Wir haben tatsächlich einen magisch Begabten im Zug. Das kann kein Zufall sein.«
»Warum nicht?«
»Nun, weil es nur sehr wenige Magier auf der Welt gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei von ihnen unabhängig voneinander denselben Überlandzug von Glasgow nach London nehmen, ist verschwindend gering.«
»Aber es ist nicht vollkommen ausgeschlossen.«
Giles schüttelte den Kopf. »Nicht vollkommen. Andererseits würde ein Magier, der einen anderen erkannt hat, diesen vermutlich aufsuchen, sich vorstellen und ein wenig Konversation betreiben. Unsere Familie ist nur sehr klein, und normalerweise freut man sich, seinesgleichen zu treffen. Stattdessen beobachtet uns dieser hier ebenso, wie wir ihn beobachten, und das verheißt nichts Gutes.«
Kendra fuhr hoch. »Wie meinst du das?«
»Er ist bei uns, in diesem Augenblick«, antwortete ihr Großvater. »Ich habe mich gerade noch rechtzeitig zurückgezogen, als er anfing, ebenfalls einen Spürfaden loszuschicken.«
»Heißt das, er kann uns sehen und hören, was wir hier sprechen?«, fragte Kendra unbehaglich.
»Nein. So funktioniert die Magie nicht«, beruhigte ihr Großvater sie. Nach einer kurzen Pause fügte er einschränkend hinzu: »Zumindest für gewöhnlich nicht. Er vermag nur unsere Fadenaura wahrzunehmen, das heißt, er weiß zwar, dass wir hier sitzen, viel mehr allerdings nicht. Wenn er gut ist, kann er möglicherweise noch erkennen, dass du ein bisschen aufgewühlt bist. Aber das würde mich wundern, denn einerseits scheint sein Talent nicht sehr ausgeprägt zu sein, andererseits habe ich deine Aura zusammen mit meiner abgeschirmt.« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
Auch wenn diese Worte nicht gänzlich dazu angetan waren, sie zu beruhigen, nickte Kendra, und sie versuchte, sich zu entspannen, was ihr leichter gefallen wäre, wenn sie vorhin etwas mehr Laudanum zu sich genommen hätte. »Was machen wir jetzt?«
»Eine gute Frage.« Giles zupfte nachdenklich an seinem Bart. »Er ist, wie gesagt, nicht sonderlich stark. Ich denke, ich könnte ihn überwältigen. Dann würden wir eventuell erfahren, was er von uns will oder wer ihn beauftragt hat, uns zu beschatten. Andererseits könnte er Komplizen im Zug haben, von denen wir nichts wissen. Und ein magischer Kampf birgt immer die Gefahr, dass er außer Kontrolle gerät, wenn man nicht …«
Er brach ab und hob verwundert den Kopf, als der Zug unvermittelt langsamer wurde und mit quietschenden Bremsen zum Stillstand kam. »Was ist denn nun los?«
Kendra war bereits auf den Beinen, schob das Fenster ihres Abteils herunter und schaute nach draußen. Links und rechts von ihr tauchten Köpfe von nicht minder verwirrten Reisenden auf. »Wir halten an einem kleinen Bahnhof«, sagte sie zu ihrem Großvater. »Auf dem Schild steht Beattock.«
Giles stellte sich neben sie und warf ebenfalls einen Blick hinaus. »Aber dieser Zug hält überhaupt nicht in Beattock, was auch immer das für ein Ort sein mag. Das hier ist ein Express, der nur in Carlisle, Manchester und Birmingham Station macht, bevor er in London ankommt.«
Noch gute zehn Minuten blieb das Rätsel ungelöst, bis schließlich ein Schaffner an ihre Abteiltür klopfte und sie aufschob. »Entschuldigen Sie die Störung!«, sagte der Mann und legte grüßend die Hand an
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